Fool on the Hill
befindlichen Schatz tastete. Die Keule war massiv, lag angenehm schwer in der Hand. Die Gummimaid schwang sie einmal probeweise, beförderte einen weiteren Schaukasten klirrend zu Boden und eilte dann auf der Suche nach Beute hinaus in die Nacht.
VI
Prediger verbrachte in der Tat reichlich Zeit mit Knutschen am Eingang der Bibliothek, ehe er sich endgültig von Jinsei löste. Die mahnende Stimme der Chefbibliothekarin holte die beiden auf die Erde zurück, und nach einem letzten Küßchen wandte sich Prediger ab und betrat den Arts Quad. Es war 11 Uhr 22.
Er hätte auch den Libe Slope hinuntergehen, die Fall-Creek-Schlucht auf der Stewart Avenue überqueren und von dieser Seite zum Tolkien-Haus gelangen können; er wählte indes den Weg über die Hängebrücke. Letzten Endes war es gleichgültig. Von dem Augenblick an, da er die Bibliothek verließ, blieb keiner von
Predigers Schritten unbeobachtet, wurde jedem Richtungswechsel Rechnung getragen.
Ohne zu ahnen, in welcher Gefahr er schwebte, passierte er die McGraw Hall wie auf Wolken und pfiff dabei, während um ihn herum der Schnee munter auf die Erde rieselte, irgendein Liebeslied, das er an dem Morgen im Radio gehört hatte. Er verließ den Quad bei der White Hall und bog hinter der Tjaden Hall links ab; als er auf einer vereisten Pfütze ausrutschte und beinahe hingefallen wäre, lachte er laut auf. Vor dem Johnson Art Museum blieb er kurz stehen, um den freischwebenden Glöckchen zu lauschen, die vom Wind bewegt wurden. In der kalten Winterluft gaben sie matte, gespenstische Töne von sich, doch Prediger fand, daß es fröhlich klang. Heute nacht stimmte ihn so ziemlich alles fröhlich.
Das trübe - aber fröhliche, ach so fröhliche - blaue Licht einer Notrufsäule markierte die Stelle, wo der Abstieg zur Hängebrücke begann. Die Rufsäulen waren vor einigen Jahren nach einer Serie von bewaffneten Vergewaltigungen überall auf dem Campus installiert worden. Stressige Zeit damals; der Sittlichkeitsverbrecher war ein Schwarzer gewesen, und Prediger, der nachts häufig unterwegs war, hatte es sich viermal gefallen lassen müssen, von der Campuspolizei angehalten zu werden. Letztlich hatten die Bemühungen der Sicherheitskräfte keinen anderen Erfolg gezeitigt, als den Kriminellen in andere Jagdgründe zu vertreiben; doch wie sich zeigte, reichte das völlig aus. Gegen Ende von Predigers erstem Jahr an der Uni überfiel der Vergewaltiger eine gewisse Donna Winchell aus Cayuga Heights. Frau Winchell war allerdings wie ihr Angreifer bewaffnet, und als es zum Showdown kam, erwies sie sich als der weitaus schnellere und bessere Schütze.
Nichts davon ging Prediger durch den Kopf, als er über die Treppe in die Schlucht hinunterstieg. Am unteren Absatz angelangt, warf er einen gleichgültigen Blick auf die zweite Notrufsäule, an der ein Aufkleber erklärte: leitung ist nicht tot. antwort kommt mit verzögerung. bitte warten.
Mehr als dreißig Meter über dem Fluß spannte sich die schlanke Hängebrücke mit schlichter Eleganz über den Abgrund. Die zwei tragenden Trossen waren vereist und strebten in die Ferne wie gefrorene Lichtstrahlen. Auf der Brücke selbst lag und die vereinzelten dunklen Flecken, die der Wind freigelegt hatte, funkelten von winzigen, haftenden Kristallen. Prediger betrat die jungfräuliche Schneedecke und erinnerte sich daran, was der Anfängerbetreuer ihm in seiner ersten Woche auf der Uni erzählt hatte: Du bist kein echter Cornellianer, solange du nicht auf der Hängebrücke geküßt hast und geküßt worden bist. Das konnte Prediger noch nicht von sich behaupten; er mußte irgendwann einmal mit Jinsei hier herunterkommen, morgen vielleicht, auf dem Rückweg vom Tolkien-Haus.
Er machte einen zweiten Schritt, spürte, wie die Brücke unter seinem Gewicht vibrierte... und dann eine andere, viel schwächere Schwingung als Antwort. Wenn er diese Nacht überhaupt eine winzige Spur von Furcht empfand, so in diesem Augenblick, als er durch die herabfallenden Schneeflocken spähte und ganz hinten, am anderen Ende der Brücke, die weißverhüllte Gestalt auf sich zukommen sah. Doch die Gestalt war nicht minder verführerisch als beunruhigend. Der weiße Umhang vollführte hypnotische Bewegungen, als bauschte er sich nicht dank der Launen des Windes, sondern aus eigenem, freien Willen. Prediger konnte nicht umhin, sich zu fragen, was für ein Mensch sich wohl unter diesem merkwürdigen Gewand verbergen mochte.
»Guten Abend«,
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