For the Win - Roman
hatten ihrem Boss den Rücken gekehrt und eine Arbeiterkooperative gegründet, die ihre Einkünfte gerecht unter sich aufteilte. Erst hatten sie sich jedoch hoch verschulden müssen, um die nötigen Computer anzuschaffen. Und soweit Yasmin es verstanden hatte, konnten ihre Familien verletzt oder sogar getötet werden, wenn sie mit den Zahlungen an die Kredithaie in Rückstand gerieten.
Es wäre besser gewesen, wenn sie anderweitig an Geld gekommen wären, aber Yasmin konnte ihnen da nicht helfen. Ein paar Wochen, nachdem sie sich mit Mala überworfen hatte, war ihr das Geld ausgegangen. Auch wenn die Webblys sie dafür bezahlten, dass sie Gewerkschaftsmitglieder bewachte, kam dabei nicht viel zusammen, schon gar nicht im Vergleich zu den Beträgen, mit denen Mr. Banerjee um sich geworfen hatte.
Wenigstens schadete sie niemandem mit ihrer Arbeit. Die Söldner, die sie gerade ausradiert hatte, bekamen ihr Geld, selbst wenn sie verloren. Und sie musste es sich eingestehen: Es machte Spaß . Es lag ein echter Nervenkitzel darin, eine Armee anzuführen, zur Zusammenarbeit zu bringen und zu einer unschlagbaren Waffe zu machen.
Dann war Justbob plötzlich verschwunden. Nicht mal ein hastig getipptes »gtg« – got to go – , sie war einfach nicht mehr am Mikro. Stattdessen hörte Yasmin Lärm und Rufe in einer fremden Sprache. Ferne Schreie.
Yasmin wechselte zu Minerva, dem bevorzugten sozialen Netzwerk der Webblys. Minerva war für Spieler entwickelt worden und hatte einen Haufen praktischer Module, die einem immer zeigten, in welcher Welt die Freunde gerade steckten, welche Schlachten sie schlugen und so fort. Man konnte sich leicht darin verlieren und in eine tranceähnliche Starre verfallen, während man sich durch all die Screenshots berühmter Schlachten, die Grabenkämpfe konkurrierender Gilden, hitzige Streitereien über den besten Weg durch ein bestimmtes Level und das endlose Herumhacken auf den Goldfarmern klickte.
Was Yasmin an Minerva sehr schätzte, war die automatische Übersetzungsfunktion. Deren Datenbank enthielt auch diverse internationale Abkürzungen und Slangausdrücke, wie sie unter Spielern üblich waren. Dort konnte man erfahren, dass kekekekeke koreanisch für LOL war, und eine Million weiterer wichtiger Kleinigkeiten nachsehen. Das machte Minerva für das globale Netz von Gilden, Clans und Kooperativen, aus denen die Webblys sich rekrutierten, unentbehrlich.
Ihr Newsfeed spielte regelrecht verrückt. Webblys auf der ganzen Welt twitterten über etwas, das gerade in China vor sich ging: der große Streik einer Gruppe von Goldfarmern, die sich ihrem Boss widersetzt hatten und auf offener Straße demonstrierten. Spieler aus der ganzen Welt eilten in Mushroom Kingdom zusammen, um den Sploit zu blockieren, wo sie vorher gearbeitet hatten. Yasmin hatte Mushroom Kingdom nie gespielt und wäre dort von daher keine große Hilfe gewesen. Man musste sich gut mit den Waffen, der Physik und den Spielern einer Welt auskennen, ehe man darin etwas Nennenswertes ausrichten konnte. Doch den Statusmeldungen nach zu urteilen, die an ihr vorüberrauschten, gab es auf jedem Server genügend Webblys, um die Reihen geschlossen zu halten.
Sie verfolgte die Nachrichten, die Vorstöße und Rückzüge, die Siege und Niederlagen, und wartete gespannt auf das Ende der Schlacht, das spätestens dann erreicht sein würde, wenn die Spielbetreiber merkten, was los war, und allen die Accounts sperrten.
Das war die Geheimwaffe in all diesen Kriegen: Wenn man sie bei den GM s verpetzte, konnte man beide Seiten zerstören und deren Accounts und Inventar in Sekundenschnelle löschen lassen. Das konnte sich niemand leisten. Und deshalb konnte es sich auch niemand leisten, sich in einen Konflikt verwickeln zu lassen, der so dramatisch war, dass er unweigerlich Aufmerksamkeit auf sich zog.
Und doch riskierten hier Hunderte von Webblys ihre Accounts und ihre Lebensgrundlage, um die Schläger abzuwehren, die den Streik brechen sollten. Yasmins Herz schlug höher. Das war es, wovon Schwester Nor immerzu sprach: Solidarität! Greifst du einen von uns an, greifst du uns alle an! Wir spielen alle im selben Team – und wir halten zusammen.
Es gab auch Bilder und Videos vom Streik: magere chinesische Jungen auf den dicht gefüllten Straßen eines fernen Landes, die wie Eulen in die Sonne blinzelten und mit untergehakten Armen vor Eingängen standen und chinesische Slogans skandierten. Die Passanten glotzten sie an, zeigten mit dem
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