Forbidden
plötzlich Schritte von oben zusammenzucken lassen. Ich beuge mich über mein Buch. Die Schritte hinter mir werden langsamer, und ich spüre, wie mein Puls schneller wird. Jemand geht die Treppe runter. Ein Bein streift den Ärmel meines Hemds, und ich starre noch konzentrierter auf die verschwommenen Buchstaben vor mir. Als zwei Beine direkt vor mir stehen bleiben, erschrecke ich erst recht.
»Hi!«, ruft die Stimme eines Mädchens.
Ich würde mich am liebsten unsichtbar machen. Zwinge mich, aufzuschauen. Begegne dem Blick aus zwei braunen Augen von jemandem, der mir vage bekannt vorkommt. Ich brauche ein paar Sekunden, bis ich das Mädchen einordnen kann. Eine Freundin von Maya. Ich kann mich noch nicht mal an ihren Namen erinnern. Sie lächelt mich an, mit einem breiten Lächeln, bei dem alle Zähne zu sehen sind.
»Hi«, sagt sie noch einmal.
Ich räuspere mich. »Hi«, murmele ich.
Ich bin nicht wirklich sicher, ob das zu hören war. Sie schaut mich weiter unverwandt an und scheint auf mehr zu warten.
»The Hours« , stellt sie nach einem Blick auf mein Buch fest. »Ist das nicht ein Film?«
Ich nicke.
»Gut?« Ihr unbedingter Wille, mit mir ein Gespräch zu führen, ist beeindruckend. Ich nicke noch einmal und will weiterlesen. »Ich bin Francie«, sagt sie, immer noch mit demselben Lächeln.
»Lochan«, antworte ich.
Sie zieht die Augenbrauen hoch. »Ich weiß.«
Meine Finger hinterlassen auf den Buchseiten feuchte Abdrücke.
»Maya redet die ganze Zeit nur von dir.«
Alles an dem Mädchen ist grell und aufdringlich. Ihre krausen Haare und ihre dunkle Haut stehen in krassem Gegensatz zu ihrem dunkelroten Lippenstift. Sie trägt einen vulgär kurzen Minirock, an ihren Ohren baumeln riesige Silberkreolen.
»Du weißt, wer ich bin, oder? Du hast mich mit deiner Schwester gesehen. Wir hängen viel miteinander rum.«
Wieder ein Nicken. Die Wörter verflüchtigen sich in mir, sobald sie meine Kehle erreichen. Ich kaue auf meiner Unterlippe.
Francie schaut mich nachdenklich an, immer noch von einem kleinen Lächeln begleitet. »Du redest nicht viel, oder?«
Mein Gesicht fängt an zu brennen. Wenn sie nicht eine Freundin von Maya wäre, würde ich jetzt an ihr vorbei die Treppe hinunterhasten. Aber Francie wirkt nicht so, als würde sie sich über mich lustig machen wollen. Eher neugierig.
»Die Leute sagen, dass ich nie zu quatschen aufhöre«, quasselt sie unbeschwert weiter. »Das schreckt viele ab.«
Was du nicht sagst.
»Ich habe eine Nachricht für dich«, verkündet Francie plötzlich. »Von deiner Schwester.«
Ich merke, wie ich mich verkrampfe. »W-was denn?«
»Nichts Schlimmes«, sagt sie hastig. »Deine Mum geht heute mit deinen beiden Brüdern und deiner kleinen Schwester zu McDonald’s essen, deshalb musst du dich nicht abstressen, so schnell wie möglich nach Hause zu kommen. Maya sagt, sie würde dich gern nach der Schule am Briefkasten am Ende der Straße treffen.«
»M-Maya hat dich gebeten, h-hierherzuk-kommen und mir das zu sagen?«, frage ich. Eigentlich hätte ich erwartet, dass sie bei meinem Stottern jetzt verächtlich grinsen würde.
»Na ja, nicht wirklich. Sie wollte dir eine SMS schicken, aber dann konnte sie nicht raus, weil der Lehrer mit ihr noch was besprechen wollte, und deshalb dachte ich, ich komme einfach vorbei und richte dir das aus.«
»Danke«, murmele ich.
»Und … ich wollte dich auch fragen, ob du dich nicht mit Maya und mir bei Smiley’s treffen willst, wo ihr zwei heute doch nicht gleich nach Hause müsst.«
Ich starre sie stumm an.
»Ist das ein Ja?« Sie blickt mich hoffnungsvoll an.
Mein Kopf ist wie leer gefegt. Mir fällt einfach keine Ausrede ein. »Ähm, na gut – okay.«
»Cool!« Ihr Gesicht leuchtet auf. »Dann sehen wir uns nach der Schule am Briefkasten!«
Sie verschwindet so schnell, wie sie gekommen ist.
Beim letzten Klingeln greife ich mit unsicheren Händen nach meiner Schultasche; ich bin diesmal der Letzte, der aus dem Klassenzimmer hinauströdelt. Dann mache ich einen Abstecher auf die Toilette und sperre mich in eine Kabine ein. Dort sitze ich eine Weile und versuche, mich zu sammeln. Auf dem Weg nach draußen halte ich vor dem Spiegel an. Ein bleiches Gesicht schaut mir entgegen, mit glänzenden grünen Augen wie die eines Wesens von einem fremden Stern. Ich beuge mich über das Waschbecken, halte meine Hände unter den eiskalten Wasserstrahl und drücke dann das Gesicht hinein. Ich möchte mich amliebsten für
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