Forbidden
die Kleinen ins Bett bringen musste, dann kann ich ihm nicht helfen. Ich werde ihm jedenfalls nicht die Befriedigung liefern, dass mein Abend auch scheiße war.
»Seid ihr nur zum Essen aus gewesen?« Lochan hebt abrupt den Kopf und starrt mich an. Er mustert mich. Mir wird plötzlich bewusst, dass meine hochgesteckten Haare sich lösen, Strähnen fallen mir ins Gesicht, vom Nieselregen draußen feucht geworden.
»Ja«, antworte ich langsam. »Warum?«
»Er hat dich um sieben abgeholt. Es ist jetzt fast elf.«
Ich kann es nicht fassen, dass das wirklich Lochan ist, der so zu mir spricht. »Du willst mir vorschreiben, dass ich zu einer bestimmten Zeit zu Hause sein soll?«, antworte ich wütend.
»Nein, natürlich nicht«, gibt er gereizt zurück. »Ich wundere mich nur. Vier Stunden ist ziemlich lange für ein Abendessen.«
Ich mache die Tür zu, weil ich spüre, wie die Wut in mir hochkocht. »Wir haben nicht nur gegessen. Bis wir durch die halbe Stadt gefahren waren, einen Parkplatz gefunden hatten … Wir haben über alles Mögliche geredet, ich finde, er ist ziemlich interessant. Er hat es auch nicht leicht.«
Kaum habe ich das gesagt, springt Lochan mit einem Satz auf, geht ans Fenster, dreht sich dann zu mir um. »Diese ganze Geschichte, dass der arme reiche Junge zu seinem achtzehnten Geburtstag nicht genau das Auto bekommen hat, das er wollte – das hab ich in der Schule schon reichlich mitgekriegt, danke! Ich tu mich nur schwer damit, zu kapieren, warum du erzählst, ihr seid bloß essen gewesen, wenn du vier Stunden weg warst!«
Das darf einfach nicht wahr sein. Lochan muss verrückt geworden sein. Er hat noch nie in meinem Leben so zu mir gesprochen. Noch nie habe ich erlebt, dass er so wütend auf mich war.
»Willst du mir damit sagen, dass ich dir über alles, was ich tue, Rechenschaft ablegen muss? Über jeden einzelnen Schritt, den ich mache?« Ich reize ihn noch weiter. »Du willst wirklich von mir, dass ich dir einen lückenlosen Bericht abliefere, was den ganzen Abend passiert ist?« Meine Stimme ist noch lauter geworden, ich brülle fast.
»Nein! Ich will nur nicht angelogen werden!« Auch Lochan fängt an zu brüllen.
»Was ich bei einer Verabredung tue oder nicht tue, geht dich überhaupt nichts an!«, brülle ich zurück.
»Aber warum diese Geheimnistuerei? Kannst du nicht einfach ehrlich sein?«
»Ich bin ehrlich! Wir waren in einem italienischen Restaurant, wir haben uns unterhalten, er hat mich nach Hause gefahren. Ende der Geschichte!«
»Glaubst du wirklich, ich lasse mich so leicht anlügen?«
Das ist das Letzte, was mir noch gefehlt hat. Ein Streit mit Lochan, nachdem ich eine Woche lang für ihn nur Luft war: der krönende Abschluss eines großartigen Abends mit Nico DiMarco, der nicht so bitter und enttäuschend hätte enden müssen, wenn ich es nur zugelassen hätte. Ich hatte nur noch ins Bett gewollt, als ich nach Hause gekommen war, ins Bett und alles vergessen. Und jetzt auch noch das.
»Lochan, ich weiß nicht, was mit dir los ist, aber du verhältst dich wie ein Arschloch. Was ist denn in dich gefahren? Ich komme hier rein, erwarte, dass du mich fragst, ob ich einen netten Abend hatte, und stattdessen ist das hier ein richtiges Verhör, und ich muss mir von dir an den Kopf werfen lassen, ich würde dich anlügen! Selbst wenn bei dieser Verabredung etwas zwischen Nico und mir passiert wäre, wie kannst du nur glauben, das ginge dich was an?« Ich drehe mich um und will zur Tür hinaus.
»Also hast du mit ihm geschlafen«, sagt er tonlos. »Kein Wunder bei der Mutter.«
Seine Worte zerschneiden die Luft zwischen uns. Meine Hand am Türgriff erstarrt. Langsam drehe ich mich um. »Was hast du gesagt?« Kaum mehr als ein Flüstern kommt aus meinem Mund, die Frage hängt wie eine Eiswolke in der Luft.
Die Zeit dehnt sich. Er steht in seinem grünen T-Shirt und den ausgewaschenen Jeans vor mir, umfasst mit seiner linken Hand die rechte, den Rücken zur Finsternis hinter dem Fenster gewandt. Ich blicke auf einen Fremden. Sein Gesicht hat einen seltsamen, gequälten Ausdruck, als hätte er geweint, aber das Feuer in seinen Augen, der Blick, den er mir zuwirft, versengt mir das Gesicht. Wie kindisch von mir, zu glauben, ich würde ihn durch und durch kennen. Er ist mein Bruder, und trotzdem steht jetzt ein vollkommen Fremder vor mir.
»Ich kann nicht glauben, dass du das gerade gesagt hast.« Meine Stimme zittert. Sie kommt aus einem Wesen, das ich nicht kenne, einem
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