Forbidden
damit, Lochan, wie kommt es, dass ich dich nicht mehr liebe?«
Siebzehntes Kapitel
Lochan
Etwas in mir ist zerbrochen. Es gibt Augenblicke am Tag, in denen alles in mir erlischt und ich nicht mehr genug Energie in mir spüre, um den nächsten Atemzug zu tun. Ich stehe reglos in der Küche am Herd oder sitze im Unterricht oder mache mit Willa Hausaufgaben, aus meiner Lunge entweicht alle Luft, und ich bringe nicht mehr die Kraft auf, sie erneut zu füllen. Wenn ich weiteratme, muss ich weiterleben, und wenn ich weiterlebe, muss ich weiter den Schmerz in mir ertragen, und das kann ich nicht – nicht so. Ich teile mir den Tag in einzelne Abschnitte ein, damit ich ihn leichter überstehe, Stunde für Stunde: erst Englisch, dann Mathe, dann Pause, dann Physik, dann Geschichte … Zu Hause ist der Rest des Tages durch Hausarbeit, Hausaufgaben mit den Kleinen, Abendessen, Bettgehzeit, Lernen und Schlafen bis auf die letzte Minute ausgefüllt. Das erste Mal in meinem Leben bin ich dankbar, dass es diese gnadenlose Routine gibt. Sie hält mich in Gang, treibt mich von einer Aufgabe zur nächsten, und wenn ich anfange, weiter als bis zum nächsten Schritt zu denken, und spüre, wie ich innerlich zerbrösle, finde ich wieder Halt, indem ich mir sage: nur noch ein Schritt, und danach ein weiterer. Halte heute noch durch – du kannst auch morgen zusammenbrechen. Bring den Tag morgen hinter dich, du kannst auch am Tag danach aufgeben …
Als Maya mir sagte, dass sie mich nicht mehr liebt, konnte ich nichts anderes tun, als mich zurückzuziehen, sie in Ruhe zu lassen. Zuerst dachte ich, sie hätte das nur aus Wut gesagt, als Reaktion auf mein idiotisches Gerede – meine blödsinnige Behauptung, das alles sei krank und ein großer Irrtum –, aber jetzt weiß ich, dass es nicht so ist. Ich sage mir meinen unseligen Satz im Kopf vor, immer und immer wieder, und frage mich, wo er plötzlich hergekommen war. Keine einzige Sekunde habe ich ihn geglaubt. Es muss meine riesengroße Wut gewesen sein, meine Verlegenheit und Scham – die Scham, mehr zu wollen, als ich jemals bekommen kann –, was mich das Verletzendste, Hasserfüllteste aussprechen ließ, das mir in den Kopf kam. Statt mich mir selbst zu stellen, meinem eigenen Frust und Elend, habe ich alles an Maya ausgelassen. Als könnte ich mich von meinem eigenen Jammer befreien, indem ich alles ihr aufhalse …
Aber jetzt habe ich durch meine eigene unsägliche Dummheit und egoistische Grausamkeit alles verloren, sogar unsere Freundschaft. Ich habe alles entwertet und zunichtegemacht. Trotz der Trauer in ihren Augen ist es Maya geglückt, zur Normalität zurückzukehren, sogar sehr gut geglückt. Sie gibt sich den Anschein, als sei alles in Ordnung, verhält sich freundlich, aber distanziert. Nichts ist ihr anzumerken – sie wirkt sogar fast heiter und gelöst. So sehr, dass ich mich manchmal frage, ob sie nicht insgeheim froh ist, dass es nun vorbei ist; ob sie vielleicht tatsächlich alles für eine Verirrung, eine krankhafte Störung hält, entstanden aus zu viel Nähe zwischen uns. Sie hat aufgehört, mich zu lieben, Maya hat aufgehört, mich zu lieben … Und dieser Gedanke frisst mir allmählich die Seele auf.
Mit der Konzentration im Unterricht ist es schon seit Längerem vorbei; doch jetzt werden zu meinem Horror allmählich die Lehrer ungut auf mich aufmerksam. Ich schaffe bei einer Trigonometrie-Aufgabe gerade mal eine halbe Seite, sitze dann da und starre den größten Teil der Stunde in die Luft, ohne es selbst zu bemerken. Sie fragen mich, ob mit mir alles in Ordnung ist, ob ich zur Krankenstation gehen möchte, was ich denn bei der Aufgabe nicht verstanden habe. Ich schüttle den Kopf und weiche ihren Blicken aus. Aber ohne die guten Noten, die ich bisher immer in die Waagschale werfen konnte, sind sie nicht bereit hinzunehmen, dass ich mich am Unterricht nicht beteilige; sie rufen mich an die Tafel vor, stellen mir Fragen, weil sie fürchten, dass ich im Lernstoff zurückbleiben könnte; dass ich sie enttäuschen könnte und ausgerechnet in ihrem Fach bei der Abschlussprüfung im Sommer keine Bestnote erziele. Ich stehe vor der Klasse, stottere mich durch einfache Fragen hindurch, mache die dümmsten Fehler und sehe, wie sich auf den Gesichtern der Lehrer das blanke Entsetzen breitmacht. Unter dem Gejohle und Gelächter der anderen Schüler, die befriedigt feststellen, dass Whitely, der Sozialspastiker, offensichtlich endgültig einen Filmriss
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