Forbidden
Kurzschluss. Ein seltsames Geräusch füllt den ganzen Raum. Alle sitzen wie erstarrt da, starren mich an, warten darauf, was als Nächstes geschehen wird, welches fürchterliche Schicksal mich erwartet. Wahrscheinlich ist ein Vertreter des Jugendamts schon in der Schule. Die Welt draußen schwillt an und drückt gegen die Mauern, quillt durch die Fenster herein, gleich bin ich darunter lebendig begraben. Nein, nein, das kann nicht sein, so kann das nicht sein, wenn man …
»Am besten, Sie gehen jetzt mit mir raus, Lochan, okay?« Miss Azley klingt bestimmt, aber nicht unfreundlich. Vielleicht hat sie sogar etwas Mitleid mit mir. Schließlich bin ich ja krank. Ein schlechter Mensch, aber auch krank. Maya hat selbst gesagt, dass unsere Liebe krank ist.
Miss Azley fasst mich um die Handgelenke. »Können Sie aufstehen? Nein? Gut, dann bleiben Sie einfach auf Ihrem Stuhl sitzen. Reggie, bitte laufen Sie zur Krankenstation, und sagen Sie Mrs Shah, dass sie sofort kommen soll! Und der Rest der Klasse geht in die Bibliothek. Los, aber bitte ohne viel Lärm.«
Stühle werden zurückgeschoben, Fußgetrappel. Ohrenbetäubende Geräusche eines Requiems für mich, Lochan Whitely. Farbige und weiße Lichtblitze blenden mich. Miss Azleys Gesicht verschwimmt und verblasst vor mir. Sie ruft die Krankenschwester her, die auch Maya nach ihrem Treppensturz betreut hat. Aber noch etwas anderes geschieht. Unter meinem Arm rattert der Tisch weiter. Ich blicke um mich, und alles bewegt sich, gleich werden die Wände des leeren Klassenzimmers über uns zusammenstürzen. Mein Herz hört auf zu schlagen, fängt wieder an zu pochen, hört auf, fängt wieder an, klopft heftig gegen meinen Brustkorb. Jedes Mal, wenn es aufhört, spüre ich eine grässliche Leere in mir, dann kommt ein Flattern, wenn es sich wieder zusammenzieht, gefolgt von einem heftigen Stoß. Im Zimmer ist keine Luft mehr, meine verzweifelten Versuche, noch Luft zu bekommen und bei Bewusstsein zu bleiben, sind umsonst. Langsam umhüllt mich Dunkelheit. Mein Hemd klebt mir nass am Rücken, Bäche von Schweiß rinnen mir den Körper hinunter, laufen mir über Gesicht und Hals.
»Lochan, es ist alles gut! Es ist alles gut! Bleiben Sie sitzen, rühren Sie sich nicht, das geht gleich vorüber. Beugen Sie sich etwas nach vorne. Ja, gut so! Stützen Sie die Ellenbogen auf Ihre Knie, und legen Sie den Kopf auf Ihre Hände! Ja, so! Dann können Sie leichter atmen. Nein, bleiben Sie sitzen! Rühren Sie sich nicht! Warten Sie, ich lockere Ihre Krawatte und knöpfe Ihnen den Hemdkragen auf. So! Leila, was machen Sie immer noch hier?«
»Oh Gott, Miss, wird er sterben?« Die Stimme klingt hoch und schrill.
»Natürlich nicht, reden Sie keinen Unsinn! Wir warten nur auf Mrs Shah, weil sie am besten weiß, was zu tun ist. Lochan, hören Sie mich? Haben Sie Asthma? Sind Sie gegen irgendetwas allergisch? Schauen Sie mich an – Sie brauchen bloß zu nicken oder den Kopf zu schütteln … Oh Gott. Leila, schnell, suchen Sie in seiner Schultasche, ob Sie da einen Inhalierer oder Tabletten oder sonst was finden. Sehen sie in den Taschen seiner Jacke und seines Blazers nach. Und in seinem Geldbeutel – ob dort irgendeine Karte steckt, auf der etwas vermerkt ist …«
Sie verhält sich sehr eigenartig, Miss Azley, sie tut immer noch so. Sie tut immer noch so, als wüsste sie nichts. Aber ich habe jetzt keine Kraft mehr, mir darum Gedanken zu machen. Ich will nur, dass das aufhört. Es ist so schmerzhaft, wenn die elektrischen Stöße durch meine Brust und in mein Herz schießen, alle Muskeln in meinem Körper zucken und mein Körper einer fremden Macht ausgeliefert ist.
»Miss, Miss – ich kann keinen Inhalierer oder irgendwas finden! Aber er hat eine Schwester eine Klasse unter uns. Vielleicht weiß sie ja was?«
Leila macht so seltsame wimmernde, winselnde Geräusche, wie wenn man einen Hund schlägt. Aber als sie sich wegbewegt, kommen die Geräusche näher. Es kann nicht Miss Azley sein, da muss ein Tier im Zimmer sein, es lauert in der Ecke …
»Lochan, halten Sie meine Hand! Hören Sie, Lochan! Die Krankenschwester wird jede Sekunde hier sein! Es ist Hilfe unterwegs!«
Erst als das Wimmern stärker wird, begreife ich, dass es aus meinem eigenen Mund kommt. Es ist meine eigene Stimme, die diese dünnen Laute ausstößt. Sie klingen jetzt wie die kratzenden Geräusche einer Säge.
»Stimmt, seine Schwester, gute Idee, Leila! Sehen Sie zu, dass Sie sie auftreiben
Weitere Kostenlose Bücher