Forellenquintett
Gehirnerschütterung, eine Platzwunde und einen Bänderriss in der Schulter erlitten.« Der Hauptkommissar verzog das Gesicht und tastete nach seiner eigenen Schulter. »Übrigens hat der Chef höchstpersönlich die Vernehmung geführt.«
»Ich glaube«, sagte Marlen, »dann sage ich einfach gar nichts mehr.« Draußen begann es wieder zu regnen, und sie konnte sehen, wie die Regentropfen auf den Blättern aufschlugen.
»Das wird vielleicht gar nicht so dumm sein«, meinte Walliser. »Wir schreiben, dass du einen Schock erlitten hast und dich nicht erinnern könntest, einverstanden?«
»Nein«, antwortete Marlen. »Ich erinnere mich ausgezeichnet. Und falls irgendjemand ernsthaft in Erwägung ziehen will, dass die Kommissarin Wegenast erst sich selbst in den Arm gebissen hat und dann den einen Kerl zusammengeschlagen hat und ich den anderen: Also bitte, dann ist mir grad alles egal, und von mir aus können Sie mich auch gleich vom Dienst suspendieren …«
»Ich glaube«, antwortete Walliser zögernd, »dass das im Augenblick sowieso gar nicht anders geht.« Sein Telefon schlug an, er schüttelte den Kopf und nahm den Hörer auf. Marlen sah, wie sein Gesicht sich schmerzhaft verzog.
»Nein«, sagte er, »nicht schon wieder, nicht dieser Unheilsort, dieses Nest bringt mich noch vor meiner Pensionierung ins Grab …« Er notierte einen Namen. »Ja, ich komme, in Gottes Namen.«
»Wo waren wir stehen geblieben?« Er hatte sich wieder Marlen zugewandt. »Ach ja. Ich muss dir sagen, dass du beurlaubt bist und zwar vorläufig ohne Kürzung der Dienstbezüge. Ohne Kürzung! Darauf werde er bestehen, soll ich dir vom Chef sagen … Und weiter hab ich jetzt keine Zeit für dich, und warum nicht?« Er schob seinen orthopädischen Schreibtischsessel zurück und stand ächzend auf. »Schon wieder wegen deinem Aeschenhorn, als gäbe es keinen anderen Ort auf der Welt, um Unfug anzustellen! Kennst du übrigens eine Olga Stubbinger?«
»Ja«, antwortete Marlen, »das ist eine entfernte Tante von mir. Sie lebt im Stift.«
»Tut sie nicht«, sagte Walliser. »Sie ist heute Morgen gestorben.« Er zog sein Jackett an, das er über die Lehne des Sessels gehängt hatte. »Das hat ja noch gefehlt, dass sie mir die alten Leute anhängen, die im Altenheim sterben, drei Wochen vor meiner Pensionierung. Ich hätte es wissen müssen. Übrigens, mein Beileid auch!«
»Das verstehe ich aber nicht«, sagte Marlen. »Meine Tante war herzkrank. So ganz überraschend kommt das nicht. Warum...?«
»Sie hat einen Brief erhalten«, antwortete Walliser. »Einen anonymen. Aber behalt es für dich.«
P atrick lag bäuchlings auf einer Decke und strampelte, es sah aus, als wolle er zu seinem Kuschel-Elefanten, aber je mehr er strampelte, desto weiter rutschte er davon weg. Sein Vater, Dr. med. Severin Hauerz, der über den weißen Leinenhosen einen leichten Pullover trug, stand am Tisch und zählte die Tropfen eines Medikamentes ab, die er in ein Glas Wasser fallen ließ.
»Hier«, sagte er dann und hielt das Glas seiner Frau hin, »ich hab die Dosierung etwas zurückgenommen, schon die letzten Tage, du siehst, es wird dir bald wieder richtig gut gehen, und wenn der Tennisclub seinen Ball hat, werden wir sie alle von der Tanzfläche fegen.«
»Ja«, sagte Audrey und betrachtete das Glas, das vor ihr stand.
»Also dann«, meinte ihr Mann und legte ihr für einen Augenblick die Hand auf die Schulter. »Ich muss rüber in die Praxis.« Vor der Tür blieb er kurz stehen und hob schnüffelnd die Nase. »Kann es sein, dass Patrick …?«
»Ja«, sagte Audrey. »Ich mach ihm gleich eine frische Hose.« Dann beugte sie sich nach vorn zum Tisch, nahm das Glas und genehmigte sich einen kleinen Schluck.
»Du schaffst das schon«, sagte Dr. Severin Hauerz und zog die Tür hinter sich zu.
Audrey wartete, bis seine Schritte auf dem Korridor verklungen waren, der hinüber zu den Praxisräumen führte, stand dann auf und ging hinüber in die Küche und zur Spüle, wo sie den Schluck, den sie im Mund behalten hatte, in den Abfluss spie. Dann schüttete sie den Rest des Glases aus und drehte den Wasserhahn auf.
Für eine Weile blieb sie so stehen, beide Hände auf die Einfassung des Spülbeckens gelegt. Aus dem Esszimmer klang Patricks Brabbeln herüber. Es klang fröhlich, warum freute sie sich nicht darüber? Ja, warum nicht? Die Menschen gingen am Haus vorbei und sahen die großen lichten Sprossenfenster und die Terrasse mit Seeblick und die
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