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Forellenquintett

Titel: Forellenquintett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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was sich mit einer Hand frühstücken lässt. Sie hatte zwei oder drei Stunden geschlafen, auf dem Rücken liegend, das war ungewohnt, aber sie würde sich damit abfinden. Wenn er nicht bewegt und auch nicht berührt wurde, schmerzte der rechte Arm nicht. Sie nahm sich eine Portion Rührei und wandte sich dann, den Teller in der Hand, zu ihrem Tisch.
    Vor ihr stand, eingepackt in Lederjacke, Stiefeln und Drillichhosen, der Mann, der sich gestern an der Rezeption als Wolf Deutscher, Student der Rechte, eingetragen hatte. Er versperrte ihr den Weg, aber nicht aus Gedankenlosigkeit, er musterte sie ganz im Gegenteil aus kalten blauen Augen, die über ihren Körper glitten und an der schwarzen Schlinge festmachten, die ihren Arm hielt.
    Tamar wartete. Nichts geschah.
    »Würden Sie mich freundlicherweise vorbei lassen?«
    Er blieb stehen und starrte weiter. Dann versuchte er ein Lächeln. Das Lächeln, das war zu sehen, sollte höhnisch und verächtlich sein. Im Frühstücksraum wurde es still. Die Stuttgarter Ehefrau hatte zu reden aufgehört, und das Serviermädchen trat erschrocken einen Schritt zurück. Der FAZ-Leser blickte auf, die Augenbrauen hochgezogen.
    Das Lächeln des Mannes, der Tamar den Weg versperrte, wurde breiter.
    Ein hässliches fettiges Klatschen und Klirren durchbrach die Stille. Einen Augenblick lang blieb der Teller mit dem Rührei am Gesicht des stud. jur. Wolf Deutscher kleben, dann fiel der Teller auf den Boden und brach entzwei. Das Rührei rutschte das Gesicht herunter und tropfte auf die Lederjacke.
    »Also noi«, sagte der Stuttgarter Ehemann.
    Ein Handy klingelte.
    Der Zeitungsleser legte die FAZ zur Seite und stand auf. Der Jurastudent hob die Hand und wischte sich mit dem Handrücken - den kleinen Finger abgespreizt - die Reste Rührei weg, die ihm das Auge verklebten, und schleuderte sie auf den hellblauen Teppichboden.
    Tamar hatte das Mobiltelefon herausgeholt, trat einen Schritt zur Seite und meldete sich.
    »Ramiz hier. Wo mit dir spreche?«
    »Sind Sie in Aeschenhorn?«
    »Ja, Aeschehorn. Wo spreche?«
    Tamar sah sich um. »Können Sie die Kirche sehen? Warten Sie dort.«
    Ein Mann in einer Trachtenweste kam in den Frühstücksraum gelaufen, blieb ruckartig stehen und blickte sich suchend um. Das Serviermädchen lief zu ihm und berichtete ihm halblaut, abwechselnd auf den Studenten und auf Tamar zeigend.
    Schatte, der Mann, der in der Zeitung gelesen hatte, baute sich vor Tamar auf. »Sieh an«, sagte er, »die Frau Kommissarin Wegenast verliert die Nerven.« Er deutete ein Lächeln an. »Sie verliert sie schon jetzt. Sehr bedauerlich. Wo soll das nur enden!«
    Tamar hatte das Handy wieder in die Jackentasche gesteckt und wandte sich an den Mann in der Trachtenweste. »Ich habe einen Teller zerbrochen. Setzen Sie ihn mir auf die Rechnung.«
     
     
     
    D as gibt Ärger«, sagte Hauptkommissar Walliser und blätterte seine Notizen durch. »Dieser Ort hat mich noch nie leiden können. Weißt du, dass ich in drei Wochen in den Ruhestand gehe?«
    Die Polizistin Marlen Ruoff schwieg und betrachtete den Baum, dessen Krone bis vor das Fenster von Wallisers Büro ragte.
    »Was hast du eigentlich da draußen gemacht, um diese Zeit?«
    »Einen Spaziergang«, antwortete Marlen trotzig.
    »Das behauptet dieser Mensch auch.«
    »Einen Spaziergang, ja?«, fragte sie zurück. »So einen kleinen, mal gucken, wo man noch eine Frau anfallen kann?«
    Walliser hob beide Hände und senkte sie wieder, als wolle er jede Aufregung dämpfen.
    »Der Mann ist nicht vorbestraft. Nicht in dieser Richtung …«
    »In welcher dann?«
    Der Hauptkommissar verzog das Gesicht. »Irgendwas Politisches. Volksverhetzung. Einer von drüben.«
    »Ach ja?«, fragte Marlen. »Und was will er hier?«
    Er blätterte in seinem Notizheft zurück. »Da haben wir es ja. Hannskarl Boulanger, fünfundvierzig Jahre, Chemotechniker aus Cottbus, war zu einem Kurzurlaub hier...«
    »Allein?«
    »Wohl nicht, aber wer führt hier eigentlich die Vernehmung?«
    »Und wo ist er abgestiegen?«, fragte Marlen.
    »Das hat doch mit dem Tatvorwurf nichts zu tun«, antwortete Walliser ärgerlich.
    »Mit welchem Tatvorwurf, bitte?«
    »Ja, mit dem Vorwurf gegen dich, wen denn sonst! Der Mann behauptet, er sei auf diesem Uferweg gewesen und hätte aus dem Dunkeln Hilferufe gehört, und sei sofort zu der Stelle gelaufen, und da sei er auch schon niedergeschlagen worden.« Walliser blätterte zurück. »Angeblich hat er eine schwere

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