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Forellenquintett

Titel: Forellenquintett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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Spur herum zur nächsten Tür, das war das Appartement 45, dann stand er vor Nummer 46. Kubitschek, der ihm gefolgt war, zog seine Dienstpistole.
    »Lass den Scheiß«, sagte Rösner und klingelte. »Wir sind nicht im Kino.«
    Kubitschek stellte sich neben die Tür und hob die Waffe, sie mit beiden Händen haltend. Rösner klingelte noch einmal. Dann schloss er auf und stieß gegen die Tür, so dass sie an der Wand anschlug. Vor ihnen lag ein Flur, von dem mehrere Türen abgingen. Eine stand offen, schweigend wies Rösner mit dem Kopf zu ihr hin, und Kubitschek ging voran. Plötzlich blieb er stehen und hob schnüffelnd die Nase. Dann schob er die Tür vollends auf.
    Im Halbdunkel vor ihm war ein Schlafzimmer. Er drückte den Lichtschalter, neben ihm glomm die indirekte Beleuchtung eines Spiegels auf, links und rechts des Doppelbetts gingen die Nachttischlämpchen an. Auf der Kommode vor dem Spiegel lag eine Pistole, es war eine Walther P 9, wie Kubitschek auf einen Blick sah. Er verzog das Gesicht und wandte sich wieder dem Bett zu. Die Nachttischlämpchen hatten rosa Lampenschirme und spendeten ein warmes, freundliches Licht. Das rechte Bett war leer. Im linken Bett war die Decke halb über einem korpulenten jungen Mann aufgeschlagen. Er trug ein olivfarbenes Unterhemd und hatte Tätowierungen auf den beiden Oberarmen, die mehr schwammig aussahen als muskulös. Sein Kopf lag auf dem Kissen, etwas zur Seite gebettet, so dass seine rechte Backe nach vorne gedrückt war, was ihm einen mürrischen und zerknautschten Gesichtsausdruck verlieh. Es schien ihm nichts zu fehlen. Nur in der Stirn hatte er ein Loch.
     
     
     
    D ie Praxis Hauerz lag etwas erhöht und mit einem aus Findlingssteinen aufgeschütteten Hang gegen die Straße abgesetzt. Weil alle Patientenparkplätze belegt waren, musste Marlen Ruoff ihren Wagen weiter unten an der Straße abstellen. Sie tastete noch einmal nach dem Brief, der am Morgen gekommen war und den sie aus einer dunklen Ahnung heraus in ihre Jackentasche gesteckt hatte, als der Anruf von Audrey gekommen war.
    Sie stieg aus und nahm den steilen Weg, der durch einen Steingarten direkt zu der Privatwohnung des Arztes führte. Unten auf der Straße sah sie einen Mann mit einem dicken Verband um das linke Auge, offenbar kam er aus der Praxis, unsicher auf den Beinen, sich mit einem Stock den Weg ertastend, als sei er gänzlich blind. Im Garten blühten noch Sträucher und Herbstblumen, nichts war unaufgeräumt, nirgends eine verwelkte Blüte, die nicht abgeschnitten worden wäre.
    An der Glastüre mit dem asymmetrischen schmiedeeisernen Gitter klingelte sie, jemand rief: »Gleich!«, schließlich wurde die Türe geöffnet …
    »Ach Marlen, das ist aber wirklich nett!«, sagte Alma Frogesser, und die hektischen Flecken auf ihren Wangenknochen schienen noch einen Farbton zuzulegen. »Heute gar nicht in Uniform?«
    Sie hat mich noch nie leiden können, dachte Marlen und wünschte einen guten Tag. Sie würde gerne Audrey sprechen, fügte sie dann hinzu.
    »Das tut mir aber leid«, kam die Antwort, wie aus der Pistole geschossen, »Audrey hat sich hingelegt. Weißt du, es geht ihr ja wirklich gut, aber sie ist noch immer sehr angestrengt, da braucht sie sehr viel Ruhe, das wirst du sicher verstehen.«
    »Audrey hat mich angerufen«, sagte Marlen und stellte einen Fuß in die Tür. »Sie will mich sprechen, verstehen Sie?«
    »Das geht jetzt aber nicht«, antwortete Audreys Mutter und begann, gegen die Tür zu drücken, »ich hab dir doch gesagt, sie hat sich hingelegt, sie schläft jetzt. Audrey braucht diesen Schlaf, weißt du.«
    »Ist gut, Mutter.« Audrey war im Hintergrund erschienen. Sie trug einen schwarzen Hausmantel, der das magere Gesicht unter dem kurz geschnittenen blonden Haar noch blasser aussehen ließ.
    Ihre Mutter protestierte, schließlich gab sie die Tür frei, und Marlen folgte Audrey in ein kleines helles Zimmer mit einer Fensterwand zum Garten. Das Blumenbrett vor dem Fenster war vollgestellt mit Herbstblumen und Orchideen.
    Audrey wies auf einen zierlichen, weiß bezogenen Sessel und setzte sich selbst auf den Hocker, der vor ihrem Jugendstil-Sekretär stand, einem Möbelstück aus poliertem dunklem Kirschholz. Sie zögerte einen Augenblick, dann holte sie ein zusammengefaltetes Blatt Papier aus der Tasche ihres Hausmantels. »Hier.«
    Marlen zögerte, dann nahm sie ein Taschentuch in die Hand und packte damit das Blatt, das Audrey ihr hinhielt, an der äußersten oberen

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