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Forellenquintett

Titel: Forellenquintett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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Welt ausgesperrt, falls es die Welt war und nicht einfach nur das Nichts, das da draußen unter der Balkonbrüstung der verwaisten Ferienwohnung eines gewesenen Ludwigsburger Notars vor sich hin weste. Wirklich? Nirgendwo kann das Nichts wesen, denn als Nichts tut es auch nichts, einer wie er hätte das doch blicken müssen, aber so war das eben: Nichts blieb dem menschlichen Verstand verborgen, bis eben auf das Nichts.
    Nebbich. Mit der Nase sog er das Aroma des Armagnac ein und nahm einen weiteren vorsichtigen Schluck. Dann griff er zur Fernbedienung und schaltete das Fernsehen ein, vorsichtshalber ohne Ton.
    Ein Wandbildschirm, eingerahmt von einem Bücherregal mit Dünndruckausgaben und allerhand Gesammelten Werken, baute sein farbiges Bild auf, auf dem Bildschirm erschien eine junge Frau mit einem Mund, also nein, das wollte er nicht sagen, was für ein Mund das war, der Mund sprach offenbar Nachrichten, ein helles Gebäude nahm den Bildschirm ein, am Eingang ein Behördenschild mit kratzigen Tieren darauf, das Schild sah sehr nach Bullerei aus. Nun schaltete er doch den Ton ein.
    »… sucht die Polizei nach zwei Polizeibeamtinnen, der 35jährigen Tamar Wegenast und der 31jährigen Marlen Ruoff...«
    Auf dem Bildschirm erschienen Fotos der beiden Frauen, die eine davon erkannte er sofort, es war die arrogante Schnepfe, die ihm nicht geglaubt hatte, das hatte sie nun davon!
    »… werden inzwischen schwere Vorwürfe gegen die baden-württembergische Polizei erhoben. Der Münchner Anwalt Eisholm, der einen der beiden Männer vertritt, die angeblich von den beiden Polizistinnen verletzt wurden, nennt die Vorgänge einen Polizeiskandal...«
    Die Sprecherin betonte das Wort »Polizeiskandal« mit erschrockenen Augen und so, als sei es die besonders ordinäre Umschreibung für eine Fellatio. Inzwischen aber war die Kamera auf einen Mann mit vorspringender Nase und lauernden Augen geschwenkt.
    »… diese Frau hat vor Jahren bereits einmal einen völlig unschuldigen Menschen erschossen, selbstverständlich ohne in irgendeiner Weise dafür zur Rechenschaft gezogen worden zu sein, jetzt tötet sie wieder, und als sie diesmal endlich festgenommen wird, scheinbar festgenommen, wird sie auf der Stelle von einer Kumpanin mit Waffengewalt wieder aus dem Gewahrsam befreit … Verstehen Sie, dass ich als Staatsbürger mich ernsthaft fragen muss, was eine solche völlig aus dem Ruder gelaufene Polizei noch von der Mafia oder der Camorra unterscheidet...«
    Der Anwalt wurde ausgeblendet, stattdessen erschien eine Außenansicht des Säntisblicks, so also sieht das bei Tag aus, dachte der Mann im Fernsehsessel. Es hätte deswegen nicht Morgen werden müssen. Er überlegte, welche Terrasse wohl die des verstorbenen Notars war, und griff nach seinem Glas. Mitten in der Bewegung erstarrte er.
    Ein Luftzug hatte seine Stirn berührt. Eigentlich kein Luftzug, nur ein Hauch.
    Irgendwer war in diese Wohnung gekommen.
    »Sie schauen sich bewegte Bilder an? Nett«, sagte eine Stimme hinter ihm. Es war eine Frauenstimme. Er registrierte es mit einem Anflug von Erleichterung, einer Erleichterung, die ihm merkwürdigerweise ein Schaudern über Hände und Unterarme kriechen ließ. Die Stimme kannte er, sie gehörte der Schnepfe, von der im Fernsehen die Rede gewesen war. Wenn er richtig verstanden hatte, musste sie zehnmal mehr Ärger am Hals haben, als sie ihm welchen machen konnte. Er ließ die Hand sinken, überlegte es sich dann aber anders und verschränkte beide Arme vor der Brust.
    Eine zweite Frau war ins Zimmer gekommen, sie trug eine schwarze Lockenmähne, auch sie musste eine Polizistin sein, wenn auch ebenfalls nicht in Uniform. Woher wusste er es? Er blickte es eben.
    Unsinn. Im Fernsehen war von zwei Frauen die Rede gewesen.
    Die zweite Frau trat zu dem Fernseher und schaltete ihn aus. Dann zog sie die Jalousie auf, drehte sich um und kam auf ihn zu. Sie blieb vor ihm stehen, beugte sich zu ihm herab und sah ihm plötzlich, ganz nah und von keiner Scheu gehindert ins Gesicht. So nah war sie, dass er die Äderchen in ihrem Augapfel sehen konnte.
    Später hätte er nicht zu sagen gewusst, wie lange sie ihn so angesehen hatte. Schließlich richtete sie sich wieder auf, hob die Hand zu seinem Mund und zog in aller Ruhe mit dem Zeigefinger die Linie seiner Oberlippe nach. Die Bewegung war so unvermutet gekommen, dass er sie widerstandslos geschehen ließ.
    »Sie sind nicht Bastian«, stellte Marlen Ruoff fest.
     
     
     
    E s tue ihm

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