Forellenquintett
ihn so zu berühren, wie diese eine es getan hatte?
Eine Stimme, die ihm krächzend und fremd in den Ohren klang, begann zu reden. »Das habe ich auch nie behauptet«, sagte die Stimme. Er drehte sich zu der anderen Frau um, der Kommissarin Irgendwas, die heute ihren Arm in der Schlinge trug, und deutete mit dem Finger auf sie. »Rufen Sie doch Ihre Kollegen von der Polizei, wenn Sie lustig sind, ich habe nichts dagegen! Oder wollen Sie mich jetzt auch abknallen, wie gestern Nacht den Typ nebenan? Ich hab Sie zwar nicht gesehen, aber das waren doch Sie - oder lügt vielleicht das Fernsehen? Und wie ist das so, wenn das Fernsehen lügt und einem ungefragt die falschen Etiketten aufklebt? Kommt man oder frau da vielleicht doch ins Denken?«
»Nett, wie schnell Sie die Sprache erlernt haben«, sagte die Kommissarin matt und ging zu dem schnurlosen Telefon, das im Bücherregal stand, und nahm den Hörer ab. Glasharfendünn summte das Freizeichen durch den Raum. Sie wählte jedoch nicht, sondern legte den Hörer wieder auf und setzte sich auf die Couch ihm gegenüber. Nicht nur wegen der Schlinge sah sie etwas beschädigt und mitgenommen aus. »Noch vor wenigen Tagen hat mir Dr. Capotta versichert, Sie sprächen kein Wort... Aber was war denn heute Nacht? Wenn Sie nichts gesehen haben - haben Sie dann vielleicht etwas gehört? Und wann?« Anders als am Tag zuvor sprach sie schleppend und mühsam.
Er sah sie an, und jetzt erst bemerkte er die graue Strähne in ihrem Haar und dass sie Falten um die Augen hatte. Außerdem war sie krank, und auf ihrer Stirn waren Schweißperlen zu sehen.
»Was soll das?«, fragte er zurück. »Wenn Sie den Kerl umgenietet haben, werden Sie doch hoffentlich noch die Uhrzeit wissen.«
Ich habe sie in der Tasche, schoss es ihm durch den Kopf. Nur kann das sehr unangenehm sein, vor allem wenn man es wörtlich nimmt. Zufällig wusste er da Bescheid. »Und wenn Sie es nicht waren...« Er zuckte mit den Schultern. »Als Retter der Bedrängten und Verfolgten bin ich noch nie besonders gut gewesen. Aber bitte. Als es geknallt hat, war es halb vier Uhr vorbei.«
»Woher wissen Sie das?«
»Das geht Sie nichts an.« Oder? So einer hochmütigen Schnepfe konnte er das eigentlich ruhig unter die Nase reiben. »Ein Mädchen war hier bei mir. Die wollte heim, bevor es richtig Tag wird.« Er gähnte und hielt sich die Hand vor den Mund. »Das macht mich jetzt noch richtig müde, wenn ich an die Nacht denke... Entschuldigung, die Damen!«
»Und wie viele Schüsse haben Sie gehört?«
»Einen einzigen.«
Die beiden Frauen wechselten einen Blick.
»Erinnern Sie sich jetzt«, die Kommissarin gab keine Ruhe, »dass Sie Ansgar Kulitz sind?«
»Da kommen Sie sich wohl schlau vor«, sagte der Mann, schwang seine Beine von der Fußstütze des Fernsehsessels und stand auf. »Namen! Was sind Namen! Etiketten, die man einem ans Revers klebt und wieder abzieht, wie es den Damen und Herren Etikettenverwaltern gerade in den Kram passt. Aber bitte!« Er deutete eine ironische Verbeugung erst vor der Kommissarin, dann vor der anderen Polizistin an, die noch immer neben dem Fernsehsessel stand. Doch die schien gar nicht auf ihn zu achten, sondern blickte auf die Kommissarin.
»Kulitz ist mein Name, bitte sehr!«, fuhr er fort. »Ich habe ihn zwar noch nie leiden können, diesen Namen, aber wenn Sie darauf bestehen! Wollen Sie jetzt freundlicherweise die Polizei rufen oder mich zu ihr bringen, oder wie und was?«
»Krakau«, sagte Tamar. »Das Café im Kazimierz. Kattowitz. Marienkirche. Der Kopf im leeren Beichtstuhl. Das waren Sie. Von wem haben Sie den Kopf bekommen?« Plötzlich verzog sie das Gesicht. Sie war noch blasser geworden.
»Ich weiß nicht, wovon Sie reden«, sagte Kulitz. »Meinen Kopf hab ich von meiner Mutter und schon bei der Geburt bekommen, stellen Sie sich das mal vor, und sonst - also mit Beichtstühlen kenn ich mich nicht so gut aus, ich bin kein direkter Kunde...«
»Stopp«, sagte Marlen Ruoff. »Das geht so nicht. Wir müssen den Verband wechseln.« Sie rief einen Namen: »Ramiz!« Ein kleiner beleibter Mann erschien und betrachtete Kulitz.
»Wen haben Sie um Gottes willen da?«, fragte Kulitz. »Ist der auch bei der Polizei entlaufen? Ich wusste gar nicht, dass man dort solche Leute beschäftigt...«
»Verstauen Sie ihn irgendwo«, sagte Marlen und deutete mit dem Kopf auf Kulitz. »So, dass er nicht abhauen kann. Und dass er endlich seine Klappe wieder hält!«
Ramiz kam auf
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