Forellenquintett
absolut unmöglich, ihn jetzt in irgendeiner Weise zu stören. Deswegen habe ich den Brief gleich an mich genommen.«
»Ah ja!«, sagte Walliser höflich. Er holte den Brief heraus und faltete ihn auseinander. Er war länger als der Brief an die verstorbene Olga Stubbinger, aber ebenfalls anonym. Er las:
Kennst du das Lied von der Forelle?
Doch plötzlich ward dem Diebe
Die Zeit zu lang
Er macht das Bächlein tückisch trübe
Und eh ich es gedacht
So zuckte seine Rute
Das Fischlein zappelt dran
Und ich mit regem Blute
Sah die Betrogne an ...
Du Dieb und Verführer, wie viele hast du so verdorben, und was wird deine Strafe sein?
»Das ist ungeheuerlich«, sagte Ellinor Windisch, als sie sah, dass er zu Ende gelesen hatte. »Ein Kapitalverbrechen, wie Sie sagen. Und es ist schon das zweite.«
»Sie meinen«, fragte Walliser vorsichtig, »dass mit diesem Brief eine Morddrohung ausgesprochen wird?«
»Eine Morddrohung?« Die Besucherin überlegte. »Daran hab ich noch gar nicht gedacht, aber natürlich, wer solche Beschuldigungen erhebt, der ist zu allem imstande …«
Sie unterbrach sich, denn das Telefon hatte geläutet. Walliser nahm ab, am anderen Ende der Leitung meldete sich Polizeidirektor Oerlinghoff. »Einen Augenblick«, sagte Walliser und bat die Besucherin um Verständnis, dass er sie kurz allein lassen müsse. Dann legte er das Gespräch ins Nebenzimmer und ging hinüber.
»Hat die Fahndung nach der Wegenast Fortschritte gemacht?«, fragte Oerlinghoff, als er sich wieder gemeldet hatte.
»Fortschritte wäre zuviel gesagt«, antwortete Walliser. »Nur dass wir den Wagen der Ruoff gefunden haben, in der Tiefgarage am Stadtbahnhof.«
»Immerhin etwas.«
»Außerdem habe ich veranlasst«, fuhr Walliser fort, »dass der Hundekadaver noch sichergestellt werden konnte. Er wird jetzt in die veterinärmedizinische Untersuchungsanstalt gebracht... Sind Sie noch dran?«
»Doch, ja, natürlich«, antwortete Oerlinghoff. »Das haben Sie sicher richtig gemacht.«
»Außerdem habe ich noch einmal mit dem Kollegen Kubitschek gesprochen.«
Er zögerte.
»Ja?«, kam es durch den Hörer.
»Kubitschek bleibt bei seiner Behauptung, dass er klar erkennbare Abdrücke gesehen hat. Von jemand, der Herrenschuhe, Größe zweiundvierzig, getragen hat. Der Tote könne das nicht gewesen sein, behauptet er. Tatsächlich hatte Orschach Größe sechsundvierzig.«
»Interessant«, sagte Oerlinghoff. »Stellen Sie doch mal fest, welche Schuhgröße die Wegenast hat. Das ist ja eine Dame, die gerne einen Herrn abgibt...«
Er verabschiedete sich, und Walliser kehrte in sein Büro zurück. Die Besucherin war noch immer da und sah demonstrativ gelangweilt zum Fenster hinaus.
»Ja«, sagte Walliser etwas hilflos, »Sie haben vorhin davon gesprochen, dass das bereits der zweite Vorfall dieser Art sei?«
»Von einem Vorfall habe ich durchaus nicht gesprochen«, kam die Antwort. »Ich habe von einem Verbrechen gesprochen. Man hat meinen Mann in eine Waschanlage gesperrt und hat ihn dann mit einem Wasserwerfer totzuspritzen versucht. Es kann durchaus sein, dass er davon noch eine Lungenentzündung bekommt.« Sie hob den Kopf, sah aber noch immer zum Fenster hinaus. »Übrigens ist deswegen Anzeige erstattet worden. Dieser Anschlag müsste Ihnen sehr wohl bekannt sein.«
Er werde sich die Akten kommen lassen, versprach Walliser. Zögernd setzte er hinzu: »Was ich Sie noch zu diesem Brief fragen wollte: Gibt es irgendeinen Vorfall, auf den dieser anonyme Schreiber sich beziehen könnte?«
Ellinor Windisch wandte langsam, fast drohend, den Kopf vom Fenster und musterte ihn mit einem Blick, der fast so etwas wie Abscheu zu spiegeln schien. »Was fragen Sie mich da? Ob es einen Vorfall gibt, auf den solche Infamien sich beziehen könnten? Vielleicht sollte ich Ihnen doch einmal sagen, dass Professor Windisch mein zweiter Mann ist, an den ich mich erst nach langer Witwenschaft gebunden habe. Mein erster Mann war Dr. Anton Kuhbauer, Vorstandsmitglied der Zahnradfabrik …«
I n der Bar hatte er einen Armagnac gefunden, der ließ einen leichter atmen und leichter denken, ohne all die Berge von Ballast, die einer sonst mit sich schleppt und die darin gipfeln, was er alles wann hätte anders tun können oder bleiben lassen sollen. Er hatte sich im Fernsehsessel niedergelassen, den Kopf zurückgelehnt, Flasche, Glas und Fernbedienung in Griffweite neben sich, die heruntergelassenen Jalousien hatten die
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