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Forellenquintett

Titel: Forellenquintett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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richtig, sicher nicht einfach nur Wolf?«
    Von der Tür hörte man ein leises Klopfen, Marlen zog ihre Pistole, die Tür öffnete sich, eine schmale dunkelhaarige Frau mit einem Pagenkopf trat ins Zimmer. Als sie Marlens Pistole sah, fing sie gellend an zu schreien und hörte nicht mehr auf damit. Von draußen drangen Rufe herein, schwere Schritte rumpelten, auf der Straße schaltete sich ein Martinshorn ein, jemand warf sich gegen die Terrassentür, Sprossen splitterten, Glasscheiben klirrten, der Polizeibeamte Waldner II stand im Zimmer, die Dienstwaffe schussbereit in beiden Händen … Die Frau hatte aufgehört zu schreien, man hörte nur ihr stoßweises Atmen.
    »Geben Sie die Waffe ab«, sagte eine Stimme. Blinzelnd, von der Helligkeit im Zimmer geblendet, blickte Waldner II um sich. Hinter Oerlinghoff stand Marlen Ruoff und hielt dem Polizeidirektor eine Pistole an die Schläfe. Eine schlanke Frau, die den rechten Arm in der Schlinge trug, kam auf Waldner II zu und nahm ihm mit der linken Hand die Waffe ab.
    »Sagen Sie den Kollegen, dass alle das Grundstück verlassen müssen«, fuhr Oerlinghoff fort. Es klang, als ob er etwas auswendig hersage. Aber er wiederholte nur, was ihm Marlen vorsprach. »Alle bleiben auf der Straße, bis eine andere Weisung erfolgt!«
    Waldner II nickte benommen und wandte sich zu der Terrassentür, die schief und zersplittert im Rahmen hing.
    »Durch das Haus!«, sagte Marlen.
    »Durch das Haus!«, wiederholte der Polizeidirektor. Waldner II wandte sich um und ging quer durch das Zimmer zum Flur.
     
     
     
    D er Wind war frischer geworden, ab und zu brach der halbe Mond durch die Wolken und ließ weiter vorne kleine Wellen silbrig glitzern. Der Polizeidirektor Max Rupert v. Oerlinghoff ging zwei oder drei Schritte hinter Tamar Wegenast, und wiederum dicht hinter ihm war Marlen Ruoff. Zu einer anderen Zeit und bei einer anderen Gelegenheit hätte ihm die frische Luft gut getan, und das seltsame Lichterspiel der Wolken und des Mondes und der Wellen hätte ihm sogar gefallen. Warum nicht jetzt? Er glaubte sich an ein Bild von Caspar David Friedrich zu erinnern: Ein einzelner Mann betrachtet den Sonnenuntergang oder eine Landschaft im Abendlicht, so genau holte die Erinnerung das Bild nicht her, oder vielmehr gelang es ihm nicht, seine Gedanken darauf zu konzentrieren, vor ein paar Monaten hatte er mit ein paar Yoga-Übungen begonnen, aber im Gehen kann man kein Yoga treiben, oder vielmehr er konnte es nicht...
    Tamar Wegenast blieb stehen und fingerte eine Taschenlampe aus ihrer linken Manteltasche. Sie blinkte ein Signal, einmal lang, dann kurz und lang, die Buchstaben »T« und »A« also, weiter links, nicht weit entfernt, antwortete viermal kurz, ein »H« also, und Tamar Wegenast wandte sich nach links.
    Der Boden wurde nass, fast moddrig, und bei jedem Schritt sank Oerlinghoff tiefer ein. Das Wasser lief ihm in seine Halbschuhe und kroch die Strümpfe hoch. Plötzlich sah er vor sich die Wasserlinie, einzelne kleine Wellen liefen auf dem Sand aus, unhörbar, ein Lichtstrahl der Lampe von Tamar Wegenast streifte den plumpen Rumpf eines großen Schlauchbootes, in dem eine Frau - oder ein junger Mann? - saß, ein Paddel in der Hand. Ein Mann in Gummistiefeln stand breitbeinig neben dem Boot und hielt es an einem Tau.
    »Ihr habt einen mitgebracht?«, sagte der Mann. »Der muss schieben helfen, sonst kommen wir nicht frei.«
    »Ich mach das«, sagte Marlen Ruoff.
    Tamar Wegenast setzte sich vorsichtig auf den Bordrand und schwang dann die Füße ins Boot.
    »Jetzt Sie«, sagte Marlen Ruoff. Oerlinghoff zögerte, zwischen ihm und dem wulstigen Bootsrand plätscherte nachtschwarzes Wasser.
    »Gehen Sie!«
    Er machte einen Schritt vorwärts und stand plötzlich im Wasser. Jemand packte ihn hart am Oberarm und schob ihn auf die Bordwand, unwillkürlich stemmte sich Oerlinghoff mit den Armen hoch und landete schließlich kopfüber im Innern, auf einer Matte, die nach Gummi und abgestandenem Wasser und Motorenöl roch. Für einen Augenblick blieb er liegen, betäubt oder beschämt, er wusste es selbst nicht zu unterscheiden.
    »Steh schon auf«, sagte eine Stimme über ihm, die irgendwie merkwürdig klang.
    Oerlinghoff richtete sich auf, das Boot schwankte, und er setzte sich rasch auf das Sitzbrett, das ihm die Person mit der merkwürdigen Stimme anwies, es war doch eine Frau, freilich eine mit kurzen blonden Haaren, und ihre Stimme klang seltsam, weil sie betrunken oder zumindest

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