Forellenquintett
Antwort.
»Nun gut«, meinte der Polizeidirektor und schaltete das Mobiltelefon wieder aus. »Wo waren wir stehen geblieben?«
»Sie wollten mir ein Friedensangebot unterbreiten«, sagte Schatte spöttisch. »Aber sollte ich nicht gleich noch eine Vereinbarung als Informeller Mitarbeiter des Staatsschutzes unterschreiben? Entschuldigung, IM hieß das ja drüben, in der verflossenen DDR, wie heißt das jetzt hier bei Ihnen?«
Oerlinghoff antwortete nicht. An der Terrassentür hatte es geklopft. Er stand auf, ging zur Tür und öffnete sie.
»Guten Abend«, sagte Tamar Wegenast und trat an ihm vorbei ins Zimmer. »Ich bitte die Störung zu entschuldigen.«
Hinter ihr kam Marlen Ruoff ins Zimmer, die rechte Hand in der Tasche ihres Lederblousons.
B astian, der so nicht hieß und auch nicht Andreas, sondern angeblich Ansgar - aber ist nicht der eine Name so falsch und aufgeklebt wie der andere? -, Ansgar Kulitz also stand vor dem Portal von St. Jodok und wusste nicht weiter. Er hatte nicht die Absicht, zur Beichte zu gehen oder sonst in der Kirche Zuflucht zu suchen, natürlich nicht. Es wäre dies auch ganz und gar unmöglich gewesen, denn die Kirchentür war abgeschlossen, offenbar hielten es in diesem Land selbst die Gläubigen für verlorene Liebesmühe, nach der Tagesschau noch zu beten oder eine Kerze anzuzünden. War es in Polen anders? Er wusste es nicht, so oft war er dort auch nicht in einer Kirche gewesen, was immer über ihn behauptet wurde.
Der Kommissarin hatte er versprochen, zu den Jehles zu gehen und... Das war doch grausamer Unsinn. Was sollte er jetzt den guten Leuten frech ins Gesicht erklären, sie hätten sich leider selbst hereingelegt? Das tut einer doch nicht. Das Beste wäre, er nähme einfach den nächsten Bus oder den nächsten Zug, soweit er eben mit den zwanzig Euro des alten Jehle käme.
Scheinwerferlicht füllte den Kirchplatz aus und erfasste ihn, ein Wagen kam so direkt auf ihn zu, dass er hastig die drei Stufen zur Kirchentür hinaufging, um ihm auszuweichen, und erst, als er oben war, begriff er, dass er gar nicht dem Wagen auszuweichen versucht hatte, sondern der Panik, und dass diese Panik viel schneller über den Kirchplatz geflutet war, als er ihr jemals hätte davonlaufen können, und dass sie jetzt über ihm zusammenschlug, alle Fluchtversuche waren vergeblich gewesen, man hatte ihn eingeholt, wer immer sich hinter diesem »man« verbarg … Der Wagen hielt vor dem Portal, eine Seitenscheibe wurde heruntergelassen, der Fahrer rief etwas heraus, aber er verstand nur: »Hallo …« und nichts weiter. Halb betäubt stieg er eine Stufe hinab, und der Fahrer wiederholte seine Frage:
»... zum Alten Schulhaus?«
Er hatte keine Ahnung, aber da hinter ihm der See lag, konnte dieses Schulhaus nur in der anderen Richtung zu finden sein, und so wies er die Gasse hoch, die vom Kirchplatz aus zur Ortsmitte führte. Der Fahrer hob grüßend die Hand an den glatt rasierten Schädel und fuhr wieder an, der Wagen war voll besetzt, und die drei anderen Männer darin sahen nicht viel anders aus als der Fahrer: eine Masse Mann, zu schwer und zu dick für den einen Wagen, in den sie sich hineingezwängt hatten für die Fahrt hierher, und aus einer von diesen abgelegenen Gegenden, bei denen das Kraftfahrtbundesamt drei Buchstaben braucht, um sie zu kennzeichnen.
Die Rücklichter verschwanden, und erst jetzt spürte Kulitz kalt den Schweiß, der ihm ausgebrochen war, und das Zittern seiner Knie. Die vier hatten zum Alten Schulhaus gewollt, also war das ein Treffpunkt, also würden dort noch andere dieser Sorte eintreffen, vielleicht auch mit dem Zug, folglich würde er den Teufel tun und zum Bahnhof gehen oder zurück zum Geisterhaus der leeren Appartements. Wohin dann?
Er hatte nur eine Wahl, und so verließ er seinen Platz vor der Kirche und nahm die kleine Gasse, die zum Marktplatz führte, und ging an den Häusern auf dessen nördlicher Seite entlang, mit raschen Schritten, er wollte nicht auf der Straße bleiben, und vor allem wollte er nicht, dass ihn noch Zweifel oder Bedenken anfielen. In den Auslagen des Trachtengeschäfts brannte noch Licht, ein Mann in einem weißen Rüschenhemd, dessen Ärmel aufgekrempelt waren, versuchte eine schwarzrotgoldne Fahne an einer Schaufensterpuppe zu befestigen, die knielange Lederhosen mit einem Brustlatz trug. Nett, dachte Kulitz, hat die Nationalmannschaft Luxemburg geschlagen? Der Mann in dem Rüschenhemd sah auf und begegnete
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