Forgotten
Nase wieder in mein Buch stecke. Ich höre, wie er leise lacht und dann eine Seite umblättert.
Da ich aus irgendwelchen Gründen keinerlei Erinnerung an Luke habe, ob nun von morgen oder sonst wann in meiner Zukunft, möchte ich im Augenblick nichts lieber, als die Schule zu schwänzen und den Rest des Tages damit zu verbringen, ihn besser kennenzulernen, bevor er sich heute Nacht wieder in Luft auflöst. Stattdessen sitze ich da und begnüge mich damit, ihn hin und wieder schmachtend anzuschielen, während ich ansonsten so tue, als sei alles ganz normal.
*
Gleich beim ersten Klingeln gehe ich an mein Telefon, damit meine Mom nichts mitbekommt und womöglich nach dem Rechten schaut und mich dann ermahnt, weil ich so spät noch wach bin.
»Was ist denn?«, flüstere ich ins Handy.
»Hast du schon geschlafen?«, fragt Jamie, eher irritiert als besorgt, dass sie mich geweckt haben könnte.
»Nein, aber meine Mom soll das glauben.«
»Hast du denn nicht gewusst, dass ich anrufe?«
»Du weißt genau, dass ich mich nicht daran erinnern kann, nur an morgen und das, was danach kommt.« Ich verdrehe genervt die Augen, auch wenn sie das natürlich nicht sehen kann.
»Weiß ich doch. War nur ein Scherz.«
»Ah«, sage ich müde. »Also, was ist denn?«
»Ich muss mir für morgen unbedingt dieses supersüße grüne Top borgen, das du dir gekauft hast, als wir an deinem Geburtstag mit deiner Mom zum Shoppen in die Stadt gefahren sind.«
Ich sage erst mal nichts. Natürlich habe ich keine Ahnung, von welcher Fahrt in die Stadt sie spricht, also denke ich vorwärts und versuche mich daran zu erinnern, was sie morgen anhaben wird.
»Hallo?«, kommt Jamies Stimme aus der Leitung.
»Sorry, ich bin noch dran. Sicher, du kannst es haben, kein Problem. Kommst du vor der Schule vorbei, um es dir abzuholen?«
»Ja, aber denk dran, morgen muss ich nachsitzen, es wird also ziemlich fr …«
»Schhh!«, schneide ich ihr das Wort ab. Draußen auf dem Flur knarren die Dielen. »Meine Mom kommt, ich muss Schluss machen!«
Ich lege auf und werfe das Handy auf den Nachttisch, gerade als meine Mom zur Tür reinschaut.
»Schatz, es ist schon spät«, sagt sie.
»Ich weiß, ich hab auch schon fast geschlafen.«
Mom sieht mich an.
»Was?«, frage ich.
»Bist du sicher, dass du nicht gerade telefoniert hast?« Sie schmunzelt auf diese wissende Art und Weise, um mir zu signalisieren, dass sie mich erwischt hat, mir aber nicht böse ist. Was mich aus irgendeinem Grund erst recht dazu veranlasst, es abzustreiten.
»Ja, ganz sicher«, sage ich und rutsche tiefer unter die Decke. »Machst du das Licht aus?«
Sie tut es.
»Nacht, Mom«, sage ich und gähne. Eigentlich mache ich es nur der Wirkung halber, aber dann merke ich, dass ich wirklich müde bin.
»Gute Nacht, London«, sagt sie, und noch bevor ich höre, wie sie meine Zimmertür zumacht, bin ich eingeschlafen.
8
Ich stehe in Unterwäsche und mit klatschnassen Haaren bibbernd in meinem begehbaren Kleiderschrank und frage mich verzweifelt, was ich anziehen soll, als Jamie urplötzlich im Türrahmen auftaucht und mir einen Höllenschreck einjagt.
»Morgen!«, ruft sie ohne jede Vorwarnung.
»Wah!«, schreie ich und springe noch ein Stück tiefer in den Schrank.
»Bisschen schreckhaft heute, was?«, meint sie, bevor sie ihren Expertinnenblick über meine Kleider schweifen lässt, die fein säuberlich auf ihren Bügeln hängen. »Hier, zieh den an«, sagt sie schließlich und zeigt auf einen karierten Minirock.
Ich schüttle energisch den Kopf. »Der ist viel zu kurz. Keine Ahnung, wieso ich den überhaupt gekauft hab.«
»Ich hab dich dazu überredet«, sagt sie mit Stolz in der Stimme. »Der Rock ist der Knaller.«
»Du kannst ihn haben.« Dann drehe ich mich weg, um mich wieder in Ruhe meiner Outfitkrise zu widmen. »Was machst du überhaupt hier.«
Jamie stöhnt. »Du bist so verpeilt! Wir haben doch gestern Abend noch telefoniert. Ich will mir …« Sie schreitet mit den Augen die Reihe mit Pullis und Tops ab. Als sie den Ärmel des gewünschten Teils entdeckt hat, zieht sie es mit einem Ruck vom Bügel. »… dieses grüne Top hier borgen.«
»Hübsch«, sage ich.
»Ich weiß.« Jamie lässt Schultasche und Jacke fallen, zieht ihr eigenes Oberteil aus und das grüne an. Dann sammelt sie Tasche und Jacke wieder auf. Ihr altes Top bleibt zerknüllt auf dem Boden meines Kleiderschranks liegen.
»Willst du das nicht mitnehmen?«, frage ich und hebe es
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