Forgotten
nicht wissen, weil ich mich damals anders genannt hab.«
»Wie denn?«, rutscht es mir raus, bevor ich meine Neugier zügeln kann.
» LJ «, nuschelt Luke beschämt. »Ich hab mich für ziemlich cool gehalten, und coole Jungs nannte man nur bei ihren Anfangsbuchstaben, das wusste doch jeder.« Er macht noch einen Schritt.
»Bleib stehen!«, fauche ich. Lukes Geständnis und seine dämlichen Kindheitsgeschichten finde ich nicht ansatzweise amüsant. »Wie auch immer du dich nennst oder genannt hast, die Tatsache bleibt, dass du mich nach Strich und Faden belogen hast. Du hättest mir helfen können, meine Vergangenheit wenigstens teilweise wieder zusammenzustückeln. Du hättest mir helfen können, Luke, kapierst du das nicht? Aber stattdessen hast du einfach daneben gestanden und zugesehen, wie ich mich abgemüht hab. Obwohl du mich angeblich liebst. Obwohl ich dich geliebt hab.« Meine Stimme wird immer schriller. »Und? War’s komisch? Hast du dich gut unterhalten? Hast du dir gedacht, London, diese behämmerte, verstrahlte, behinderte Kuh, die kann man mal so richtig verarschen?«
Lukes Miene wird ganz starr, und er sagt einige Sekunden lang kein Wort. Dann wischt er sich zwei Tränen weg, die aus seinen kornblumenblauen Augen überquellen. Er sieht so hilflos aus, und ein Teil von mir bereut meinen Ausbruch bereits. Ein Teil von mir will hingehen und ihn ganz fest in die Arme nehmen.
Stattdessen krächze ich, als ich mich wieder so weit im Griff habe, dass ich sprechen kann: »Raus.«
»London, es tut mir wirklich unendlich leid. Ich hab nicht gedacht, dass du es so aufnehmen würdest. Ich wollte nicht …« Seine Stimme verebbt, und er lässt den Kopf hängen. Dann sieht er wieder auf, und unsere Blicke treffen sich. »Ich wollte einfach nicht, dass du dich in meiner Gegenwart unwohl fühlst.«
Ich schüttle den Kopf und mache ihm Platz, damit er gehen kann. Mit hängenden Schultern schlurft er an mir vorbei in den Flur.
Von der Küche aus kann ich hören, wie er sich die Schuhe anzieht und dann leise die Haustür öffnet und schließt. Kurze Zeit später springt sein Wagen an. Als das Schnurren des Motors verklungen ist, sacke ich auf dem Küchenfußboden zusammen und heule mir die Seele aus dem Leib.
*
Es ist schon nach Mitternacht, und trotzdem klingelt jetzt schon zum dritten Mal innerhalb der letzten Stunde mein Handy, das ich unters Kopfkissen gesteckt habe. Sobald ich es hervorholen kann, ohne dabei Gefahr zu laufen, aus Versehen ranzugehen, gibt es jede Menge Nachrichten zu löschen.
Es ist erstaunlich, wie viel Zeug man in einer gerade mal viermonatigen Beziehung ansammelt. Ein Berg von Notizen und Fotos türmt sich in der altmodischen Hutschachtel, die ich im Schrank gefunden habe. Eigentlich war sie für Erinnerungsstücke gedacht, aber jetzt werde ich sie als Gegenteil benutzen. Als Schachtel für Nicht-Erinnerungsstücke. Als Zeitkapsel, die hoffentlich nie wieder das Tageslicht erblicken wird.
Mädchen auf der ganzen Welt werden grün werden vor Neid, denn ich habe die perfekte Methode gefunden, Rache an dem Jungen zu üben, der mich so schändlich hintergangen hat. Nachdem ich mich ausgeweint hatte, habe ich mich nämlich auf die einzigartige Fähigkeit besonnen, die außer mir niemand besitzt.
Ich werde den Ratschlag beherzigen, den Jamie mir zweifellos geben würde, wenn sie jetzt hier wäre.
Und wie ich ihn beherzigen werde.
»Vergiss den Typen«, würde sie sagen.
Ein ausgezeichneter Plan.
Ich verdränge alle süßen und guten und schönen Gedanken und konzentriere mich allein auf das Schlechte. Dann stopfe ich den ganzen Kram noch tiefer in die Hutschachtel, um Platz für ein paar letzte Sachen zu schaffen. Bevor ich den Deckel zumache, lege ich noch einen Zettel obendrauf, den ich kurz zuvor geschrieben habe – die Tinte ist noch nicht ganz trocken – und auf dem ich darlege, was Luke mir angetan hat, um so ein grausames Schicksal zu verdienen. Nur für den Fall, dass ich irgendwann mal zufällig auf die Schachtel stoßen sollte.
Der Zettel für meine Mom liegt auf dem Küchentisch. Er enthält einen kurzen Bericht über unsere Auseinandersetzung samt folgender Trennung sowie die strikte Anweisung, niemals wieder von Luke zu sprechen.
Das Werk ist fast vollbracht.
Ich lösche die Nachrichten auf meiner Mailbox, ohne sie abzuhören, tilge auch seine Nummer von meinem Handy und gehe dann in den Keller, um unsere gescheiterte Beziehung zwischen alten
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