Forgotten
über angelogen. Es tut mir so leid, London, und alles, was ich mir wünsche, ist die Möglichkeit, es wiedergutzumachen. Ich weiß auch nicht genau, wieso ich es getan habe, vielleicht dachte ich, Du würdest sonst denken, dass ich Dich all die Jahre verfolgt habe oder so. Vielleicht wollte ich auch einfach nur wissen, ob Du eines Morgens aufwachen und Dich an mich erinnern würdest.
Hast Du aber nicht.
London, wir gehören zusammen. Ich will Dich nicht verlieren. Ich habe einen Riesenfehler gemacht, und ich hoffe, dass Du mir verzeihen kannst. Wie ich schon am Anfang geschrieben habe: Ich liebe Dich, London Lane.
Solange ich Dich kenne.
Luke
*
Nach der Schule sitze ich in meinem Zimmer auf dem Boden, und vor mir steht eine riesige geblümte Hutschachtel, deren Inhalt überall um mich herum verstreut ist. In einer Hand habe ich Lukes Entschuldigungsbrief, in der anderen ein Foto von uns beiden als glücklichem Paar. Es kommt mir so vor, als wäre nicht nur der Inhalt der Schachtel, sondern auch der meiner Seele komplett freigelegt.
Meine Mom schien nicht überrascht, als ich sie nach Luke gefragt habe. Sie hat mich sofort zur Hutschachtel geführt, und zwar mit einem Ausdruck im Gesicht, den man nur als gönnerhaft bezeichnen kann.
»Na, das hat ja nicht lange angehalten«, hat sie gemeint.
»Es ist noch gar nichts entschieden.« Dann habe ich mir die Hutschachtel geschnappt und mich in mein Zimmer verzogen.
Und jetzt bin ich, mit einem Wort, sprachlos.
Ich habe ganz am Anfang begonnen, und nachdem ich meine Notizen über unsere ersten Begegnungen gelesen hatte, war ich so kurz davor, Lukes Nummer zu wählen und seine Entschuldigung anzunehmen.
Aber dann habe ich mit seinem Verrat im Hinterkopf weitergelesen, und auf einmal war es, als würde durch seine Lügen jeder scheinbar wunderschöne Moment falsch und schmutzig. Monatelang hat er mir was vorgemacht. Ich habe nie den wahren Luke kennengelernt.
Na gut, streng genommen habe ich ihm natürlich auch was vorgemacht.
In gewisser Weise haben wir beide uns vielleicht nicht ganz korrekt verhalten.
Trotzdem, das kann man gar nicht miteinander vergleichen. Seine Lügen waren viel schlimmer.
Oder?
Neben mir klingelt mein Handy, und ich weiß genau, dass er es ist, auch wenn ich seine Nummer nicht mehr gespeichert habe. Ich spiele mit dem Gedanken, es zu ignorieren, aber nur kurz. Dann gehe ich doch ran. Ich kann nicht anders.
»Hallo?«, sage ich zaghaft.
»Hi«, haucht eine sanfte Stimme ins Telefon, und mir wird ganz schummrig. Warum hat er mich angelogen, verdammt noch mal? Wenn er nicht gelogen hätte, müsste ich jetzt nicht sauer auf ihn sein und könnte in seinen blauen Augen versinken.
»Hi.«
»Ich weiß, du hast gesagt, du brauchst Abstand, aber ich musste dich einfach anrufen.«
»Jemandem Abstand geben stelle ich mir aber anders vor«, sage ich, fest entschlossen, mich nicht so leicht rumkriegen zu lassen. Traumkerl hin oder her, er hat mir sehr weh getan.
»Ich weiß«, sagt er und klingt dabei ganz hilflos. »Was soll ich tun?«
»Du sollst gar nichts tun«, sage ich streng. »Ich hab gesagt, ich brauche Abstand, um mir über die ganze Sache klarzuwerden, und wenn ich dir wirklich wichtig bin, dann respektierst du das auch.«
Ich verziehe gequält das Gesicht. Er am anderen Ende höchstwahrscheinlich auch.
Sekundenlanges Schweigen.
»Okay, London«, meint er schließlich mit so viel Traurigkeit in der Stimme, dass mir fast das Herz bricht. »Ich lass dich in Ruhe.«
Statt in den Hörer zu rufen: »Ach, nein, vergiss es, das war nicht so gemeint!«, wie ich es unbedingt möchte, sage ich bloß »Danke« und beende das Gespräch. Bevor ich noch irgendwelche Versprechungen mache, die ich nicht halten kann.
Ich sitze gegen mein Bett gelehnt, sehe die leere Hutschachtel und das Protokoll unserer Beziehung vor mir auf dem Boden liegen, und fange an zu heulen. Ich will nicht vernünftig sein.
Ich will ihm nicht verzeihen müssen.
Ich will nicht, dass er mich überhaupt erst angelogen hat.
Ich schiebe die Zettel von meinen Beinen herunter und klettere ins Bett, vergrabe das Gesicht im Kissen und heule eine Ewigkeit lang. Irgendwann kommt meine Mom ins Zimmer, so leise, dass ich sie gar nicht höre, streichelt meine Haare und meinen Rücken und sagt immer wieder beruhigend, dass alles gut wird.
Nein, wird es nicht, denke ich.
Überhaupt gar kein bisschen.
29
Heute hat mir das Leben – im positiven Sinne – eine volle
Weitere Kostenlose Bücher