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Forlorner (Salkurning Teil 1) (German Edition)

Forlorner (Salkurning Teil 1) (German Edition)

Titel: Forlorner (Salkurning Teil 1) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Loons Gerringer
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hinter sich, aber in diesen Minuten konnte er sich an überhaupt nichts
mehr erinnern. Er wollte ihn anbrüllen, schütteln, wollte ihn festhalten, damit
er nicht weiter wegdriftete. Ein paar Mal sah es so aus, als käme er zu sich,
ein paar Mal hustete er auch, und dann kam noch viel mehr Blut. Es konnte in
Wirklichkeit nicht so lange gedauert haben. Er hatte nicht bemerkt, dass Alice und
Tim neben dem Wagen standen und heulten, die heulten beide, er sah es, als
endlich, endlich die Sirenen zu hören waren.
    „Da kommen sie. Gleich sind sie da. Die kriegen das
hin. Adrian, hörst du die Sirenen?“
    Adrians Hand rutschte vom Steuer. Er drehte den Kopf
in seine Richtung, nicht viel, aber er hätte sich gar nicht bewegen sollen.
Gerade wollte er ihm das noch mal sagen, aber da bemerkte er, dass Adrians
Augen auf waren und ihn ansahen, ihn auch wirklich sahen, das wusste er
hundertprozentig sicher. Und dann sagte Adrian es, ganz klar und verständlich,
und seine Stimme klang überrascht und müde zugleich, als hätte er jetzt etwas
verstanden, was er nicht unbedingt hatte wissen wollen.
    „Treppenstufen schlafen nie“, sagte er.
    Vielleicht hätte es sich gar nicht so in ihm
festgehakt, wenn nicht danach das gewesen wäre, woran er heute noch nicht
denken konnte – und doch spielte es sich vor seinen Augen unaufhaltsam wieder
ab.
    Adrian fing an zu zittern, dann zu krampfen, das Blut
kam schwallweise aus seinem Mund, er keuchte gurgelnd nach Luft – das war
schlimm, schlimmer noch als dieses krampfige Zucken. Und er saß neben ihm und
konnte nichts, nichts, nichts tun.
    „Mach doch was! James ! Mach doch was !“,
kreischte Tim draußen vor dem Fenster und Alice stand daneben und flennte und
dann wurden die Sirenen endlich ohrenbetäubend, Blaulicht irrte über die
Anhöhe, verhielt flackernd auf dem Baumstamm vor ihnen. Irgendwie war es, als
hätte sie der Film von eben eingeholt und sich auf diese nächtliche Landstraße
ausgebreitet.
    „Adrian, sie sind da! Die Kavallerie, Mann!“ Von dem
bizarr flackernden Baumstamm sah er zu Adrian zurück, erleichtert,
hoffnungsvoll … Aber sein Kinn, die Jacke darunter, das Steuer, alles glänzte
schwarz von seinem Blut, und das blaue Flackern spiegelte sich darin.
    James sah es genau, er konnte es nur nie in Worte
fassen. Kein Ruck, kein Zucken. Eher so ein – Lockerlassen. Adrian atmete noch
einmal ein, so weit das Steuer in seinen Rippen das erlaubte.
    Draußen knallten die Türen der Ambulanz, er hörte das
Scheppern, mit der die Trage aus ihren Halterungen gerollt wurde. Schnelle
Schritte. Fragende, sachliche Stimmen. Alices verheulte Stimme. Dann wurden
gleichzeitig die Fahrertür und die Beifahrertür neben ihm aufgerissen.
    Er konnte nie verstehen, dass die anderen weinten. Der
Schock – dieses gefrierende Entsetzen, das ging doch an den Tränendrüsen ganz
vorbei. Das hatte damit doch gar nichts zu tun. Er fühlte einfach nur ein
Erstarren. Als ob die Zeit angehalten worden wäre.
     
    Und genauso fühlte es sich auch jetzt noch an. Jetzt,
in Orolo, an diesem Bach, wo ihn die Erinnerung zum ersten Mal wieder in allen
Einzelheiten eingeholt hatte. Dieser verdammte Vers hatte das losgetreten, so
heftig, dass er es nicht aufhalten konnte, schon gar nicht nach der Menge Bier
und der Kotzerei. Okay. Jetzt hatte er sich erinnert. Es hatte nichts erhellt,
keine Rätsel gelöst. Es war und blieb einfach nur eine ätzende Erinnerung, und
woher Adrian das mit den Treppenstufen gehabt hatte, wusste er immer noch
nicht.
    Er merkte, dass er die Luft angehalten hatte. Obwohl er
inzwischen genug andere Menschen hatte sterben sehen – und zwei davon in der
Notaufnahme fast genauso wie Adrian – konnte er an diesen Abend nicht
zurückdenken, ohne zu erstarren. Und es gab nichts, was diese Erstarrung lösen
konnte. Es war ein Ende gewesen. Man musste sich abwenden und woanders
weitergehen. Und dieser Treppenstufen-Vers, das war die Überschrift. Der
Untertitel. Der Song dazu. Der Dateiname, unter dem die Sache in seinem Hirn
gespeichert war. Und zugleich eine knappe Zusammenfassung des Ganzen.
    Und er hatte nie einen Sinn oder irgendeinen Bezug
gehabt – bis heute Abend.
    Was , Mann?
Was wolltest du mir damit sagen?! War das ein Sesam-öffne-dich für das
Jenseits? Sind wir hier in einer Totenwelt gelandet? Sind wir in diesem
Irrgarten alle gestorben, und das hier ist jetzt –
    Nein. Das hier war wirklich. So verrückt es war, es
war ein Teil der Wirklichkeit. Im Jenseits

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