Forlorner (Salkurning Teil 1) (German Edition)
würde man wohl kaum mit einer vom
Kotzen verätzten Kehle an einem Bachufer herumliegen. Oder überhaupt Bier
trinken. Oder auf Frauen scharf sein.
Hustend drehte er sich um. Wasser war eine gute Idee.
Erst trank er, dann rieb er sich das Gesicht damit ab, schließlich steckte er
den ganzen Kopf hinein. Als er sich mit triefenden Haaren wieder zurücklegte,
war ihm etwas besser. Er verschränkte die Arme unter dem Kopf und blinzelte in
den Nachthimmel hinauf. In ein paar Minuten würde er aufstehen und seinen
Nachtdienst in Kriopes Wagen antreten. Solange konnte er noch einmal über die Schlepper
nachdenken und die bisherigen Informationen darüber sortieren. Rote Tür. Krai.
Diese Wege – wie hatte Bindori sie genannt? – Wendokarn . Das musste man
sich merken. Viel Geld oder andere Wertgegenstände – oder persönliche
Gegenleistungen.
Am Morgen nach dem Unfall hatte Adrians Vater mit
ihnen gesprochen. Wollte noch einmal alles über den genauen Hergang wissen. Ob sie
gesoffen hatten im Kino, ob sie Adrian bekifft hatten fahren lassen. Vielleicht
war der Mann auf der Suche nach einem Schuldigen. Bei der Gelegenheit teilte er
ihnen auch mit, dass er und seine Frau es passender fänden, wenn keiner von
ihnen bei der Beerdigung sprechen würde. Sprechen? Wieso? Worüber? Er verstand
nicht, was Mr Copeland wollte. Überhaupt – obwohl er Adrian seit ihren Sandkastenzeiten
kannte, hatte er mit seinen Eltern kaum zu tun gehabt, weil sie die meiste Zeit
des Jahres auf Konzertreisen waren, die Mutter als Pianistin, der Vater als ihr
Manager oder so was.
Aus der Beerdigung hatten die Copelands eine große
Sache gemacht: Viele Blumen, befreundete Musiker spielten harmonische und
deshalb total unpassende Musik, sogar eine Sängerin sang. Die Leute von der Punk-Folkband,
mit der Adrian die letzten zwei Jahre seines Lebens ernsthaft um Erfolg
gekämpft hatte, saßen schweigend da. Es war so unwirklich, dass seine Gedanken
immer wieder davonglitten. Mit Adrian hatte das alles nichts zu tun. So saß er
da neben Sam, Tim und Alice in der Bank dieser Kapelle, hörte idiotische Musik
und stellte fest, dass er seinen Hals immer noch nicht richtig bewegen konnte.
Fast ihr gesamter Jahrgang von der Highschool war
gekommen, und Adrians Tutor war auserwählt worden, ein paar Sätze über seinen
verstorbenen ehemaligen Schüler zu sagen. Die beiden waren nicht gerade gut
miteinander ausgekommen, aber das wussten die Copelands wahrscheinlich nicht.
Der Mann rang sich ein paar Sätze ab, und in seinem Bemühen, seine Abneigung
nicht zu zeigen, griff er daneben und klang so pathetisch, dass James fühlte,
wie das Kichern in ihm aufstieg. Und dann, als er unwillkürlich und aus
jahrelanger Gewohnheit Adrian neben sich anstoßen und einen vielsagenden Blick
mit ihm tauschen wollte – erst dann ging es ihm schlagartig auf. Wie ein
Feuerstoß röhrte die Erkenntnis in ihm auf: Adrian ist weg, und das ist unwiderruflich.
Unwiderruflich.
Über das Röhren in seinem Kopf hörte er kein Wort mehr
von dem Gerede, in der Kapelle nicht, und später auch nicht, als er mit den
anderen hinter dem Sarg herging. Er sah ihre bleichen, ernsten Gesichter, sah
die schluchzende Zoe, Adrians letzte Freundin, zwischen ihren Freundinnen
gehen, die die Arme um sie gelegt hatten. Die ganzen Blumen. Es war nicht zu
verstehen.
James wälzte sich herum und setzte sich dann stöhnend
auf. Er legte den Kopf auf die Knie und wartete, bis die Welt nicht mehr
schlingerte. Kalte Wassertropfen rannen aus seinen Haaren über seine Arme.
Man musste sich umdrehen und einen anderen Weg
weitergehen, und das hatte er in den folgenden Wochen und Monaten auch getan.
Er arbeitete, lernte, machte seinen Dienst in der Klinik. Natürlich gab es trotzdem
Momente, in denen er der Schneise, die sich jetzt durch sein Leben zog, zu nahe
kam, um sie zu ignorieren. Die letzten siebzehn Jahre hatte er zu einem großen
Teil mit Adrian zusammen verbracht. Wie sollte da keine Leere zurückbleiben?
Und dass er mit Sam und Tim erst mal nicht mehr abhängen konnte – war das ein
Wunder? Sie konnten doch keinen Blick wechseln, ohne sofort an den Cloverfield -Abend
zu denken. An ihr persönliches Hammerdown-Protokoll … Er hatte Angst davor,
dieselbe Leere und Fassungslosigkeit in ihren Augen zu sehen. Das hätte alles
noch wirklicher gemacht. Also traf er sich so oft wie möglich mit Karen. Da gab
es kein verbranntes Land. Sie hatte Adrian kaum gekannt, und sie war voller
Zukunftspläne.
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