Formbar. Begabt
die letzte Planungsphase des Spiels: »Sagt mal... wieso seid ihr eigentlich hier? Also nicht hier bei uns, sondern auf dem Zeltplatz? Warum zeltet ihr in den Osterferien zu zweit? Ich meine, es ist schon eher seltsam um die Jahreszeit. Damit will ich nicht andeuten, dass ihr zwei...«
Oh Mann, kurze und prägnante Fragen stellen. Das ist meine Stärke! Glücklicherweise amüsieren sich die beiden über das Fragefeuerwerk, obwohl ich angedeutet habe, dass man sie für ein Pärchen halten könnte.
»Eigentlich hatte keiner von uns beiden Lust zum Zelten. Unser Freund hatte heute Morgen die spontane Idee »einfach ein wenig ins Grüne zu fahren«. Und wir haben in einem Anfall geistiger Umnachtung zugestimmt. Also haben wir unseren Kram gepackt, eine Kühltasche mit Bierflaschen gefüllt, den Grill genommen und gehofft, dass noch jemand so verrückt ist und wir auf nette Gesellschaft treffen. Was ja zum Glück der Fall ist.«
Okay, das klingt recht plausibel. Trotzdem hakt Laro nach. »Und dieser Freund: Wo ist er? Wieso habt ihr ihn nicht mitgebracht? Sitzt er jetzt alleine rum oder wie?«
»Jan war total gereizt, als wir weg sind. Und nachdem er auch noch Marius zur Sau gemacht hat, weil der ...«
Mehr höre ich nicht. Sämtliche Unterhaltungen werden vom Schrillen der Alarmglocken in meinem Kopf übertönt. Klar, die beiden kommen mir bekannt vor, weil ich sie in der Pause schon häufiger bei Jan stehen sah.
Na toll! Wäre mir das vorher eingefallen, hätte ich sie direkt vergraulen können. Jetzt ist es zu spät! Wir sitzen ums Feuer herum und sind kurz davor, ein blödes Spiel zu beginnen. Scheinbar hat mein Gesicht an Farbe verloren, denn Viv mustert mich besorgt. Wie schön, dass zumindest eine meiner Freundinnen bemerkt, dass etwas nicht stimmt. Laro ist nämlich weit davon entfernt und regt an, Jan doch nicht der Einsamkeit zu überlassen, sondern ihn zur geselligen Runde einzuladen. Merkt sie denn nicht, dass es hier um meinen Jan geht? Noch eine Runde Flaschendrehen in seiner Nähe halte ich nicht aus! Der muss ja auch denken, dass wir nichts Anderes machen...
In meinen Szenarien des Schreckens gefangen, bemerke ich zu spät, dass Lucas die Feuerstelle verlassen hat. Entweder geht er zu den sanitären Anlagen oder ist dabei, mein Leben zu zerstören. Vivs mitfühlender Blick macht mir sofort klar, womit ich zu rechnen habe. Auch Laro sieht unangenehm berührt aus, als sie meinen Gesichtsausdruck wahrnimmt. Diese Reue kommt leider ein wenig zu spät.
Welche Möglichkeiten bleiben mir?
Eine Ohnmacht vortäuschen?
Das Zelt in Brand stecken?
Einschlafen?
Da Marius noch bei uns sitzt, kann ich mich nicht zurückziehen, ohne mein Gesicht zu verlieren. Zumal ich noch vor wenigen Minuten lustige Fragen gestellt und auch generell richtig gut gelaunt gewirkt hatte.
War ich ja auch!
So mache ich das Einzige, was mir noch bleibt:
Einatmen. Ausatmen.
Oh Gott, gleich wird Jan hier sein.
So schlimm ist das nicht. Ich will ihn doch sehen. Heute Morgen hatte ich bedauert, dass ich ihn zwei Wochen lang nicht anschmachten kann. Manche Wünsche gehen eben schneller in Erfüllung, als einem lieb ist.
Panisches Luftschnappen.
Ich bin ganz ruhig. Gaaanz ruhig.
Während ich mich immer weiter in meine Panik hineinsteigere, spüre ich plötzlich eine Hand auf meinem Knie. Sie gehört zu Viv, die mir aufmunternd zunickt und flüstert: »Du machst das schon, keine Sorge!«
Vielleicht kommt er ja gar nicht mit. Sagte Lucas nicht, dass Jan schlechte Laune habe? Womöglich möchte er einfach einen geruhsamen Abend in der freien Natur verbringen.
Dieser Gedanke hilft mir immerhin, nicht zu hyperventilieren. Zu mehr dient er leider nicht, denn wenige Minuten später höre ich die Schritte von zwei Personen, die sich dem Feuer nähern.
***
Die Menschen sind so leicht beeinflussbar. Mit einem Minimum an Einfühlungsvermögen tun sie genau das, was man von ihnen verlangt und sind sich dessen noch nicht einmal bewusst.
5
Unausweichlich
Schon bevor ich ihn sehe, spüre ich seine Anwesenheit wie ein elektrisches Spannungsfeld, das ihn umgibt. Als ich ihm das Gesicht zuwende, stockt mir für einen Moment der Atem. Wie kann der Anblick eines Jungen solche Reaktionen auslösen? Ich will jede Bewegung von ihm beobachten, gleichzeitig traue ich mich kaum, ihn anzuschauen, weil er meinen Blick erwidern könnte. Aus den Augenwinkeln nehme ich jedes Detail, das ich erkennen kann, in mich auf. Die üblichen schwarzen Boots in
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