Forstchen, William
wecken konnte, sogar in dieser Hölle. Für sie und für Andrew – vielleicht lief es letzten Endes darauf hinaus, nachdem alle anderen Gründe vergessen waren.
»Falls sie es jedoch herausfinden …« Hans zögerte und blickte Lin an, ehe er rasch fortfuhr, »… wird es nicht der schnelle Tod in den Schlachtgruben sein, sondern das Mondfest. Und es wird nicht nur euch treffen, sondern jeden, der euch etwas bedeutet.« Erneut unterbrach er sich, wohl wissend, dass es letztlich gesagt werden musste: »Bis zum kleinsten Säugling.«
Er brauchte es ihnen nicht zu schildern. Sie alle hatten schon die Opfer gesehen, die zum Ritual davongeschleppt wurden, wo man sie stundenlang lebendig über einem Feuer briet, wo man sie dann am Tisch festmachte und die Schädeldecke abschnitt, um ihr Gehirn zu verzehren, während sie noch lebten – obgleich das Licht des Lebens dabei langsam erlosch. Sie wurden verspeist, während die Mistkerle vor Lachen brüllten. Falls eine Familie zu diesem Schicksal verurteilt wurde, mussten die Eltern zusehen, wie ihre Kinder starben, dann der Ehemann, wie seine Frau starb.
Hans blickte Tamira offen in die Augen. Falls sie den Kopf schüttelt, falls sie nein sagt, kann ich dann noch einen Rückzieher machen?, fragte er sich. Sie blickte auf Andrew hinab, der an ihrer Brust schlief, und hob die Augen wieder zu Hans. Er spürte, dass alle im Raum sie anblickten.
»Mir wäre es lieber, er stirbt, als dass er wie Vieh leben muss«, flüsterte sie, bittere Entschlossenheit in der Stimme.
Hans wandte sich lächelnd an die Gefährten. »Dann fliehen wir«, sagte er leise.
Die Grenze war überschritten. Er hatte diesen Schritt seit Jahren verweigert, aus Angst vor den Folgen und aufgrund eines Glaubens an die wahnsinnige Unausweichlichkeit all dessen. Er spürte den Ansturm der Gefühle, als hätte er eine Tür geöffnet und als fegte eine warme Frühlingsbrise in ihrer aller Leben.
Ketswana rührte sich, blickte Manda an. »Wir müssen akzeptieren, was denen widerfährt, die wir zurücklassen.«
»Man wird sie schlachten«, sagte Gregori. »Falls wir Erfolg haben, werden die Bantag in ihrer Wut Hunderte töten, vielleicht Tausende.«
»Sie können nicht alle umbringen«, wandte Manda ein. »Sie brauchen ausgebildetes Vieh. Einige werden aus Rache umgebracht werden, aber nicht alle.«
»Erkläre das jenen, die zum Tode verurteilt werden. Die Tatsache, dass andere überleben, hat für sie keine Bedeutung.«
»Wir sind ohnehin tot«, stellte Alexi kalt fest. »Je schneller wir das alle einsehen, desto besser.«
»Ein Verurteilter schert sich nicht um die anderen und wird jeden verfluchen, der ihn dem Tag der Hinrichtung näher bringt«, entgegnete Hans. »Ich muss euch allen diese Frage stellen: Falls ihr wüsstet, dass die Gefangenen im angrenzenden Lager die Flucht planten, und falls ihr wüsstet, dass ihr selbst zur Vergeltung geschlachtet würdet, würdet ihr sie nicht aufhalten oder ihren Plan verraten?«
Er wusste, dass dies der Kern seiner Einwände gegen jeden Fluchtversuch war. Es war unmöglich, alle hinauszubringen, und wer zurückblieb, war des Todes.
»Nein. Ich würde kein Wort sagen, um sie aufzuhalten.«
Erschrocken stellte Hans fest, dass Tamira diese Worte gesprochen hatte.
»Unterwerfen wir unser Leben nicht mehr der Illusion«, fuhr sie leise fort. »Der Tod von Lins Frau hat sie entlarvt. Denkst du nicht, dass die Bantag schon andere schulen, die uns ersetzen können? Denkst du nicht, dass sie uns fürchten, weil wir zu viel wissen, weil sie zu abhängig von uns sind? Falls ich wüsste, dass es für jemanden, irgendjemanden in diesem Albtraum Hoffnung gäbe, würde ich mir wünschen, dass er flieht.«
»Selbst wenn Andrew dafür bestraft würde?«, fragte Ketswana vorsichtig.
»Der Buddha wird ihn in eine bessere Welt führen.«
Ketswana stand schweigend da, und Hans spürte, wie Stolz in ihm aufstieg. Tamiras gelassener Blick beruhigte wie immer seine Furcht.
Er blickte seine Gefährten an, und jeder von ihnen nickte, einer nach dem anderen.
»Dann müssen wir jetzt akzeptieren, dass wir andere zum Tode verurteilen.«
Eine ganze Weile lang reagierte niemand auf diese Feststellung. Dann brach Gregori das Schweigen. »Es geht nicht mehr nur um uns. Wir müssen die Republik über das informieren, was hier geschieht. Die Bantag bereiten einen Krieg vor, der sehr leicht die einzige Hoffnung der Menschheit auf diesem Planeten zerstören könnte. Ja, Menschen werden
Weitere Kostenlose Bücher