Forstchen, William

meines Bojaren Iwor fielen. Falls ich die Angst vor den Tugaren vergessen könnte, scheint mir beinahe, dass ich damals glücklicher war.«
    »Ihre Kinder und Enkelkinder sind heute glücklicher«, gab Andrew zu bedenken. »Wir selbst sind es vielleicht nicht, aber das ist unser Opfer, damit sie fest und ohne Furcht schlafen können.«
    Kai starrte den alten Freund an, als wollte er weitersprechen, wüsste aber nicht wie.
    »Sie möchten über dieses Gerücht sprechen, ich wollte für die Präsidentschaft kandidieren.«
    Kai nickte. »Warum?«
    »Sie betrachten es als persönlichen Angriff auf sich selbst. Liegt darin das Problem?«
    »Wir sind Freunde seit jenem Tag, als man mich zum ersten Mal in Ihr Zelt führte, ein eingeschüchterter Bauer, den man geschickt hatte, um herauszufinden, ob Sie nun ein Dämon waren oder nicht.«
    Andrew lachte leise, als er daran zurückdachte.
    »Sie und Ihre Kameraden haben mich aus dem Zustand der Unwissenheit erhoben, und dafür werde ich ewig dankbar sein.«
    »Aber …?«, gab ihm Andrew erneut das Stichwort.
    »Aber ich bin heute komplett anderer Meinung als Sie, alter Freund.«
    »Wie es auch sein sollte«, entgegnete Andrew.
    Kai musterte ihn fragend.
    »Liegt darin nicht der ganze Sinn unserer Republik? In Meinungsverschiedenheiten und deren Beilegung durch öffentliche Debatte?«
    »Eine schöne Ansicht, mein Freund. Aber diesmal sieht es anders aus. Es geht um eine fundamentale Entscheidung, welchen Weg die Republik einschlagen soll.«
    »Aber so ist es doch immer!«, gab Andrew entschieden zu bedenken. »Jede Generation betrachtet ihre Anliegen als so welterschütternd wichtig, dass zunächst keine Seite in der Lage ist, einen Kompromiss einzugehen, aber ein solcher kommt normalerweise schließlich heraus.«
    »Was war dann mit Ihrem Bürgerkrieg?«
    Andrew nickte traurig. »Der Disput hätte auf dem Verhandlungsweg beigelegt werden können, hätten sich kühlere Geister durchgesetzt. Im Rahmen seiner Rede zur ersten Amtseinführung hat Lincoln beide Seiten beinahe angefleht, sich an den Verhandlungstisch zu setzen. Wir haben nicht auf ihn gehört, und eine halbe Million Menschen verloren deshalb das Leben.«
    »Und unser Disput?«
    »Kai, wir betrachten die Welt in unterschiedlichem Licht. Rus ist die Welt, die Sie kennen, das Land, in dem Sie geboren wurden, das Sie lieben, für das Sie gekämpft und Opfer gebracht haben und in dem man Sie eines Tages begraben wird, geehrt als erster Präsident der Republik. Natürlich gelten Ihre Gedanken immer zunächst Rus.«
    »Ich spüre darin einen Vorwurf.«
    »Keineswegs, mein Freund. Es war ein Wunder, wie Sie die Unterzeichnung der Zweiten Verfassung in die Wege geleitet und uns mit Roum vereinigt haben, ungeachtet der Bedenken im Kongress. Ich denke, dass Sie als Gouverneur von Rus unter der neuen Verfassung beispielhafte Arbeit leisten werden.«
    »Aber nicht als Präsident der Republik?«
    Andrew blickte dem Freund offen in die Augen und schüttelte schließlich den Kopf.
    Kai wurde rot. »Und Sie halten sich eine klarere Vision zugute.«
    »Das tue ich, Kai. Außerdem denke ich, dass ich gewinnen kann.«
    »Und ziehen uns dabei in einen weiteren Krieg.«
    »Das ist es, was uns trennt, Kai: die Frage des Krieges.«
    »Sie halten ihn für unvermeidlich. Ich tue das nicht!«, entgegnete Kai hitzig. »Wir haben den Kampf gegen die Tugaren und die Merki gewonnen, und der Himmel kennt den blutigen Preis, den wir dafür bezahlt haben. Die halbe Bevölkerung von Rus wurde ausgelöscht.«
    Kais Ton wurde ausdruckslos. »Zuzeiten wünschte ich mir, Sie wären dem Ratschlag Cromwells gefolgt, hätten Ihr Schiff genommen und wären geflohen, ehe die Tugaren eintrafen. Sie hätten zurückkehren können, sobald diese weitergezogen waren, und wir hätten nur ein Zehntel unserer Leute verloren. Anschließend hätten wir zwanzig Jahre Zeit gehabt, um uns auf den Krieg vorzubereiten.«
    Andrew beugte sich in seinem Sessel vor. »Die Vergangenheit kann man nicht ändern. Und vergessen Sie nicht, Herr Präsident, dass Sie es waren, der die Menschen zum Aufstand gegen die Bojaren anstiftete und uns damit zu bleiben zwang. Hätten Sie sich damit zurückgehalten, wäre Ihr Wunsch, wie verfehlt auch immer, in Erfüllung gegangen. Falls hierein Fehler vorliegt, ist es Ihrer.
    Und vergessen Sie auch Folgendes nicht, Kai!«, raunzte Andrew. »Pat und ich trafen mit über fünfhundert Mann unter unserem Kommando an diesem gottverlassenen Ort ein.