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Fortunas Odyssee (German Edition)

Fortunas Odyssee (German Edition)

Titel: Fortunas Odyssee (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliane Reinert
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mit nach Hause nehmen würde. Aber Tante Geórgia überzeugte sie davon, dass es besser sei, Tim vorerst bei ihr zu lassen, bis er wieder bei Kräften war und ein normales Leben führen konnte. Mama sträubte sich zuerst, aber mit einer Vorahnung, was auf sie zukommen könnte, willigte sie ein. Tim würde also eine Zeit lang in der Hauptstadt wohnen, und Tante Geórgia würde sie ständig über Briefe auf dem Laufenden halten. Wenn alles wieder in Ordnung wäre, würde er wieder nach Hause kommen.
    Zurück auf der Fazenda erhielt Mama gleich schlechte Nachrichten von Esperanza. Sie war niedergeschlagen, konnte kaum sprechen und sah aus, als hätte sie nächtelang nicht mehr geschlafen. Der Coronel hatte Kaluga als Hauptverdächtigen verhaften lassen und seine Männer geschickt, um ihn zu holen.
    »Wo ist er jetzt?«
    Die Magd schüttelte den Kopf und zuckte mit den Schultern, um zu zeigen, dass sie es nicht wusste.
    Meine Mutter saß am Flussufer, den Kopf auf ihre Knie gelegt, und hing ihren traurigen und angstvollen Gedanken nach, als eine der Angestellten an sie herantrat.
    »Vertrauen wir unsere Probleme den Göttern an, Dona Tyanna.«
    »Ich glaube nicht, an ihre Existenz«, antwortete sie ohne Umschweife.
    »Doch, sie existieren, und sie werden uns helfen.«
    »Bis jetzt haben sie mir jedenfalls nicht geholfen«, sagte Mama und schaute die Frau von der Seite an.
    »Sie müssen sich hinknien und darum bitten. Nur so erhören sie uns.«
    Als sich die Frau entfernt hatte, führte Mama Selbstgespräche.
    »Sie wollen, dass ich sie anflehe? Wenn sie Verherrlichung wollen, dann will ich Handlungen, und dafür werde ich die Ärmel hochkrempeln und mich nicht hinknien.«
    Sie stand auf, ging zu ihrem Zimmer, zog sich den Ring von Finger, schrieb etwas auf ein Blatt Papier und ritt mit ihrem Pferd bis zum Bahnhof in der Stadt.
    »Ich bin eine verzweifelte Mutter, die ihren kranken Sohn retten muss. Bitte helfen Sie mir! Vielen Dank.« Das war die Botschaft, die sie aufgeschrieben hatte.
    Als sie ankam, ließ sie sich erschöpft auf eine der Bänke, die im Bahnhof standen, fallen und bemerkte, dass ihre Schuhe völlig verstaubt waren. Sie kümmerte sich nicht weiter darum, denn im Moment der Verzweiflung gibt es wichtigere Dinge als persönliche Eitelkeiten. Die alte Tyanna war gestorben und mit ihr die Eitelkeit. Bevor sie das Blatt auseinanderfaltete, dachte sie daran, wie sich ihr Leben verändert hatte. Sie hatte sich nie vorgestellt, dass sie einmal um Geld betteln würde. Nicht einmal im Traum hatte sie sich diese Szene ausgemalt, in der Menschen mit ihrem Gepäck hin- und herliefen, während sie still den Zettel mit der Botschaft zeigte, die ihre ganze Verzweiflung ausdrückte. Eigentlich hätte man nur ihr Gesicht betrachten müssen, um das zu erkennen. Einige Leute schauten flüchtig auf die geschriebenen Worte, andere nicht einmal das, und niemand ließ sich vom Anblick dieser verzweifelten Mutter erweichen.
    Der erste Zug traf zehn Minuten später ein. Die Türen öffneten sich, die Leute stiegen ein und aus. Es gab Abschiedsszenen mit weinenden und winkenden Menschen. Überall waren Hüte und Tücher zu sehen, die nervös hin- und hergewedelt wurden. Ein Pfiff, und der Zug fuhr wieder los. Keine einzige Spende. Niemand hatte sich von ihren Worten berühren lassen und ich sah, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten. Meine Göttin, meine Mama! Ich setzte mich neben sie und legte meinen Arm auf ihre Schulter.
    Was würde eine Frau mit dem Geist einer Mutter und den Flügeln eines Engels nicht alles für ihren Sohn tun?
    Der Hexer reichte mir ein Taschentuch. Ich nahm es an, obwohl ich wusste, dass nur er meine Tränen und meine tropfende Nase mitbekam.
    Als ich das Tuch auffaltete, sah ich, dass darauf ein Satz aufgestickt war.
    »Wer Träume hat, der lebt. Wer lebt, hört nie auf, zu träumen.«
    Ich lächelte. Diese Botschaft war exklusiv an mich gerichtet.
    Eine geraume Zeit verstrich, bis der nächste Zug eintraf.
    Wieder stiegen Menschen aus und andere zögerten den Augenblick hinaus, sich zu verabschieden und die Stufen hochzusteigen. Der Zug setzte sich in Bewegung, und der Rauch stieg zum Himmel wie ein Vogel, der neue Abenteuer sucht. Ich ließ mich auf das Abenteuer ein, zu träumen.
    Ich legte meinen Mund an ihr Ohr und fing an zu sprechen.
    »Beruhige dich, irgendjemand wird bestimmt Mitleid zeigen, meine liebe Mama. Und wenn es auch nur ein einziger Mensch ist, der sich erweichen lässt und dir

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