Foundation 08: Foundation
die man in Form eines Gesetzes zusammenfassen könnte. Ein wissenschaftliches Gesetz ist eine Beschreibung, nicht etwa eine Ursache von Phänomenen. Ein historisches Gesetz kann einen ebensowenig dazu zwingen, sich in bestimmter Weise zu verhalten, wie einen eine versicherungsmathematische Tabelle zum Sterben zwingt.
Die Komplexität der menschlichen Gesellschaft bedeutet lediglich, daß es schwierig sein könnte, die Gesetze der Geschichte zu entdecken, nicht etwa, daß sie nicht existieren. Sicherlich sind viele der in diesem Artikel zitierten Beispiele grob vereinfachend; aber ›vereinfachend‹ braucht nicht gleichbedeutend mit ›falsch‹ zu sein. Selbst eine grob vereinfachende Analyse kann durchaus zum Verständnis beitragen. Im gegenwärtigen Stadium rechnet niemand damit, ein einziges, allumfassendes System von Differentialgleichungen aufstellen zu können, das jede Spielart der Gesellschaft beschreiben könnte. Schließlich haben die Physiker auch bis jetzt das allgemeine Drei-Körper-Problem noch nicht gelöst. Wir stehen auch erst am Anfang einer mathematisch-wissenschaftlichen Betrachtungsweise der Zivilisation.
Die Psychohistorik ist ein umfangreiches Thema, das wir hier nicht in aller Breite abhandeln können. Wohl aber können wir uns einige Höhepunkte dieser am Anfang stehenden Wissenschaft herausgreifen.
Wissenschaftliche Gesetze sind statistische Gesetze. Sie befassen sich mit allgemeinen Tendenzen großer Mengen. Die Kernphysik sagt ja nicht etwa das Schicksal eines einzelnen Neutrons voraus oder die Chemie das eines einzelnen Moleküls. In gleicher Weise ist es praktisch unmöglich, das Verhalten eines Individuums vorherzusagen, das heißt, es ist praktisch unmöglich, alle Faktoren zu identifizieren und zu messen, die es beeinflussen. In großen Gruppen freilich können sich individuelle Variationen gegenseitig aufheben und damit Regelmäßigkeiten oder Muster erzeugen. Auf diese Weise kann es sein, daß das durchschnittliche Verhalten einer Gruppe vorhersehbar sein kann, selbst wenn das nicht für das Verhalten der einzelnen Individuen der Gruppe gilt. Spielcasinos und Lebensversicherungen leben von der Richtigkeit dieser Erkenntnis.
Lassen Sie uns einige Beispiele von solchen Mustern und Regelmäßigkeiten näher betrachten:
Abbildung 1: Die Zahl der Sklavenaufstände (oder Rassenkrawalle) ist im allgemeinen mit einem konstanten Poisson-Prozeß kompatibel. Die obere Grenze des Vertrauensbereichs für die Häufigkeit von 1,45 Aufstände/pro 5 Jahre wird mit +Wurzel aus 3delta festgesetzt. Man beachte, daß die Befreiung der Sklaven ihren Status in der Gesellschaft nicht verändert hat. Man beachte auch die Regelmäßigkeit der ›Eruptionen‹, die darauf hindeutet, daß irgendeine Art zivilisatorischer Energie sich aufbaut und entlädt.
2. Die Geburtenraten in den USA sind wenigstens seit 1820 linear gefallen, wobei geburtenstarke und geburtenschwache Zyklen sich um die Trendlinie schmiegen (Abb. 2). Die letzte geburtenschwache Zeit und der neue Mini-Boom, den die Grafik für 1979 anzeigt, sind lediglich eine Fortführung dieses Trends. (Beachten Sie übrigens, daß der ›Nachkriegs‹-Baby-Boom schon vor dem Krieg anfing.) Die üblichen Gründe, die für den Rückgang der Geburtenraten genannt werden (die Pille, Legalisierung der Abtreibung, Women’s Lib) erklären dieses Muster nicht. Welche natürliche Kraft ist hier am Werk?
Abbildung 2: Die Geburtenrate in den USA hat bereits lange vor der Einführung der Pille und Women’s Lib gleichmäßig abgenommen. Man beachte auch den starken zyklischen Effekt. Die einzigen größeren Störungen sind jeweils die Zeiten, wo viele junge Männer außer Landes waren.
3. Die Zahl der Morde in den USA ist erst vor kurzem wieder auf den Höhepunkt zurückgekehrt, der zuletzt in den 30er Jahren erreicht worden war (Abb. 3). Führt die Todesstrafe (oder deren Abschaffung) zu Veränderungen in der Kurve, die die Anzahl der Morde wiedergibt? Oder ist es etwa umgekehrt, daß nämlich Veränderungen in der Zahl der Morde die Öffentlichkeit dazu veranlassen, die Todesstrafe zu fordern? Wo liegt die Ursache, wo die Wirkung?
Abbildung 3: Wenn die hohen Mordraten in den 70er Jahren darauf zurückzuführen sind, daß keine Hinrichtungen mehr stattfanden, worauf sind dann die hohen Mordraten der 20er und 30er Jahre zurückzuführen? Man beachte die geringe Korrelation zwischen Hinrichtungen und Morden oder der Waffenkontrolle und den
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