Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Titel: Fräulein Hallo und der Bauernkaiser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
Vom Netzwerk:
kleines Dampfschiff in Richtung Gong-Landzunge, nicht weit vom Gebiet des Volkes der Miao in der Provinz Guizhou.
    Vor ein paar Jahren arbeitete ich im Bereich der regionalen Volkskultur und war oft in dieser Gegend, um Material zu sammeln. Heute, wo ich wieder zu den alten Orten reiste, war ich von Gefühlen so überwältigt, dass ich den netten Gedanken, mit meinen Gefährten zusammen nach Youyang, Xiushan und Zhangjiajie zu fahren, aufgegeben habe. Stattdessen blieb ich drei Tage hier und suchte in den Bergen die alten Wege von damals, wobei ich ganz unerwartet den 90  Jahre alten Feng-shui-Meister Huang Tianyuan wiedertraf.
    Eine wundersame Begegnung, die es wert ist, festgehalten zu werden.
    ***
    LIAO YIWU:
    Großvater, darf ich ein wenig mit Euch plaudern?
    HUANG TIANYUAN:
    Worüber sollen wir schon plaudern?
    LIAO YIWU:
    Über das, was Ihr da macht.
    HUANG TIANYUAN:
    Ich bin kein Fengshui-Meister, du darfst nicht auf das Geschwätz der Leute hören!
    LIAO YIWU:
    Das ist ein Missverständnis, ich suche nicht nach einem Fengshui-Meister, ich bin von außerhalb, selbst wenn ich hier auf einen vom Fengshui her wertvollen Ort träfe, ich würde meine Knochen doch nicht irgendwann hier begraben lassen können.
    HUANG TIANYUAN:
    Du brauchst mir nicht immer hinterherzulaufen, es wird schon dämmrig, hier gibt es zwei Wege, gut zu erkennen, auf den Hügel hoch oder hinunter zum Fluss, welchen willst du nehmen?
    LIAO YIWU:
    Den, den ich vor zwölf Jahren genommen habe.
    HUANG TIANYUAN:
    Die Wege sind längst anders.
    LIAO YIWU:
    Wie können kleine Bergpfade ihre Richtung ändern? Damals war ich beim Kulturhaus, ich habe mit dem Kulturhausleiter Peng den You-Fluss entlang Volksliteratur gesammelt, wir stürzten uns richtig hinein, ein paar Monate lang. Früher war hier an der Weggabelung einmal ein Bauernhof gewesen, halb Stroh, halb Ziegel, eine blinde Alte von einundachtzig Jahren wohnte hier, sie hieß Ran Hongyu. Wenn sie ein Berglied anstimmte, dann wurde ihre Stimme auf einmal ganz hell und klar, heller und klarer als bei einem achtzehnjährigen Mädchen. Damals habe ich sie einen ganzen Abend lang auf Tonband aufgenommen. Ihr habt sicher von ihr gehört!
    HUANG TIANYUAN:
    Sie ist vor sechs Jahren gestorben. Ihre Grabstelle habe ich noch ausgesucht, die ist dort oben.
    LIAO YIWU:
    Und ihr Hof? Ihre Familie?
    HUANG TIANYUAN:
    Längst weggezogen, Ran Hongyus Schicksal war hart. Wenn man die Gräber immer vor Augen hat, erdrücken die Toten die Lebenden.
    LIAO YIWU:
    Kann ich ihr Grab sehen?
    HUANG TIANYUAN:
    Es ist schon spät.
    LIAO YIWU:
    Großvater, Ihr habt doch etwas auf dem Herzen! Vor zwölf Jahren hat Kulturhausleiter Peng Euch gebeten, einmal ins Wasser zu schaun, damals war Euer Haar noch sehr kurz und Euer Bart noch nicht weiß. Ich stand neben Euch und fragte: »Was könnt Ihr denn in einer Schale klares Wasser erkennen?«
    Erinnert Ihr Euch?
    »Seele!«, mehr habt Ihr nicht geantwortet, und der Kulturleiter Peng solle seinen Vater zur letzten Ruhe betten. Der Kulturleiter sagte, das sei schon geschehen. Ihr schlugt mit einem qualmenden Räucherstäbchen dreimal an den Rand der Schale und sagtet: »Seine Seele ist wütend.«
    Der Kulturleiter wurde ganz blass vor Schreck, denn die Urne mit der Asche seines Vater stand tatsächlich noch bei ihm zu Hause. Man erzählte sich, dass Ihr auch ein Wunderkind im Wasserlesen ausgebildet habt.
    HUANG TIANYUAN:
    Ich verscheuche schlechtes Omen für die Leute, für Geld.
    LIAO YIWU:
    Das heißt, Ihr wollt Geld von mir? Wie viel?
    HUANG TIANYUAN:
    Deine Yin-Halle zwischen den Augenbrauen ist hell, kein böser Schatten, den man vertreiben müsste. Aber gut, da wir alte Bekannte sind, gib mir fünfzig Yuan für die Konsultation. Euer Kulturhaus hat schon ein paar Mal die Belegschaft gewechselt, jedes Mal kamen sie wieder, jedes Mal wollten sie unbedingt meine Lehrlinge sehen, wie sie das Wasser lesen und wahrsagen. Ha, da studieren sie an der Universität und lassen sich von einem Neunjährigen ins Bockshorn jagen! Ich habe längst einen Schlussstrich gezogen und mich in die Einsamkeit zurückgezogen. Schau hier, hier ist das Grab von Ran Hongyu, was hätte ich ihr über ihre Zukunft sagen sollen? Ich bin drei Jahre jünger als sie, in meinen jungen Jahren war ich sogar hinter ihr her, über die Schlucht hinweg haben wir uns zugesungen. Sie war eine Kamelie, im Umkreis von Meilen waren sie hinter ihr her, es waren viele. Im Singen war sie unschlagbar, ich habe ihr nur

Weitere Kostenlose Bücher