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Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Titel: Fräulein Hallo und der Bauernkaiser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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umerzogener Mönch und ohne Tempel fristen. Doch als die Landschaft sich in das Jahr 1978 bewegte, kam unversehens jemand von außerhalb und hat mir erzählt, die Religionspolitik sei erneuert worden, man könne wieder öffentlich dem buddhistischen Glauben nachgehen.
    Obwohl ich das nur halb glauben konnte, ein Lichtblick war es doch, für mich war es die Erleuchtung durch Buddha. Ich wagte es nicht, mir am helllichten Tag etwas anmerken zu lassen, schließlich war der Klassenkampf noch in vollem Gang. Die Produktionsbrigade hätte nur Wind davon bekommen müssen, dass der totgeglaubte feudalistische Aberglaube wieder aufloderte, sie hätten bestimmt wieder eine Kampfkritikversammlung veranstaltet. Also bin ich mitten in der Nacht aus dem Bett gekrochen, habe den Kopf aus der Tür gestreckt, um zu sehen, ob die Luft rein ist, und mich dann auf den Weg gemacht. Eine Weile bin ich gelaufen, eine Weile marschiert, es waren über hundert Meilen, und schließlich war ich am Mittag des nächsten Tages in Chengdu. Ich begab mich direkt zum Kloster Wenshu, wo sich schon ein paar Dutzend verlotterte Mönche versammelt hatten, alles Äbte und Brüder aus den Klöstern und Tempeln im Westen von Sichuan und alles »Bauernmönche«, die eine Umerziehung durch Arbeit hinter sich hatten und oft nur mit knapper Not mit dem Leben davongekommen waren.
    Im Kloster Wenshu blieb ich ein paar Jahre, als Feldwebel der Buddhawächter und Leiter der buddhistischen Rituale. Da die Feueropfer (die Rettung der Seelen aus dem Fegefeuer) an sich ziemlich hart waren, gewann ich unter den Gläubigen allmählich einen gewissen Einfluss. Am fünfzehnten Tag des siebten Monats nach dem Mondkalender wurde ich zum chan-buddhistischen Guangyan-Tempel zurückgeholt, der Weihrauch wurde wieder entzündet, den Berg hinauf zogen sich über zehntausend Menschen, und wieder und wieder wurde Feuerwerk abgebrannt, wie Nebel lag der Qualm über dem Alten Tempel und zog lange nicht ab. Suonas, Trommeln und Gongs sorgten für die richtige Stimmung, es war mehr Trubel als am Frühlingsfest.
    LIAO YIWU:
    Damals wart Ihr schon vierundachtzig Jahre alt, ein gebildeter Mönch und mit den Wechselfällen des Lebens von Grund auf vertraut. Wenn Ihr aus den blühenden Wolken und Nebeln zurückschaut, wie sieht Eure Bilanz aus?
    DENG KUAN:
    Ich komme nicht dazu, darüber nachzudenken, meine Kerze flackert schon im Wind, aber der Alte Tempel zerfällt, wir haben nicht einen einzigen Raum mehr, in den es nicht hineinregnet. Ich stehe mit Deng Ke, einem jüngeren Bruder, der bei den gleichen Meistern gelernt hat wie ich, ein paar Dutzend Mönchen und Laien vor, die sich zu dritt in einem Bett drängen oder auf einer Ölhaut auf dem Boden schlafen, wo oft Schlangen und Mäuse zu ihnen kriechen. Wenn sie dann Angst haben, sage ich zu ihnen: »Der Maus ist auch kalt, lasst sie unter eurer Decke schlafen.«
    Ich hatte schon von klein auf eine schicksalhafte Beziehung zu Mäusen. Auch wenn eine Maus alt war und schon kein Fell mehr hatte, ich habe sie oft gewissenhaft gewärmt und sie mit meiner Reisschüssel gefüttert … ach ja, ich habe in meinem Leben ein paar hundert Mal eine Kampfkritik über mich ergehen lassen und einiges schlucken müssen, aber ich bin noch da, das mitleidige Herz ist noch da … Aber wofür bin ich noch nütze? Ich habe keine Kraft mehr, die Situation zu ändern.
    LIAO YIWU:
    Meister, Ihr müsst Euch nicht grämen, dass der tausend Jahre alte Tempel hier sich so weit erholen konnte, ist doch auch schon etwas.
    DENG KUAN:
    Da bist du im Irrtum. In deinem Alter weißt du natürlich nicht, wie das früher einmal hier aussah. Warst du schon im oberen Teil des Tempels?
    LIAO YIWU:
    War ich.
    DENG KUAN:
    Die Vorhalle und der Weituo-Tempel sind auf den alten Trümmern wiederaufgebaut worden. Oberhalb der Halle der Lichter steht der Pagodenwald der Patriarchen. Unter diesen Pagoden ist auch die des Patriarchen Wu Kong – des jüngsten Onkels des Mingkaisers Zhu Yuanzhang. Für ihn war die Welt des Staubes schon früh eitel und nichtig, er wandte sein frommes Herz Buddha zu. Als der Yongle-Kaiser den Thron bestieg und der entmachtete Kaiser sich davonmachte, zog Wu Kong als Mönch von Indien über Tibet bis hierher, als ihm plötzlich die Augen aufgingen. Er schnitt sich eine Tonsur, verließ die Seinen und nannte sich fortan »Fa Ren«, der Name »Wu Kong« heißt »der die Leere durchschaut«. Wegen der ungeheuren Tiefe und Vertrautheit von Abt Fa Ren mit der

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