Fraeulein Jensen und die Liebe
Hunger hatte. Die Lage hat sich nicht verbessert. Ich habe immer noch Hunger und denke zudem permanent an ein Wort: »overdressed«.
Für die Außenstehenden müssen wir ein merkwürdiges Bild abgeben: eine Frau, die aussieht, als hätte sie ein Candle-Light-Dinner mit Brad Pitt, starrt einen Mann in alten, verwaschenen Jeans an, der ein grünes T-Shirt trägt, auf dem das Victory-Zeichen und der Schriftzug »Rocks« zu sehen ist.
Steffen Henssler lächelt und nickt mir zu. Hannah, konzentriere dich, fahre ich mich innerlich an. Stell dir einfach vor, du hättest deinen Jogginganzug an. Warum eigentlich nicht? Ich schließe für einen kurzen Moment die Augen (er wird denken, ich muss mich vor dem Interview kurz sammeln) und versuche, mich in mein Jogginganzug-Dasein hineinzuversetzen. Funktioniert ziemlich schnell. (Natürlich, schließlich verbringe ich die meiste Zeit meines Lebens im Jogginganzug.) Als ich die Augen wieder öffne, ist unsere Klamottendifferenz, um das mal so zu bezeichnen, mehr oder weniger gelöst. Ich denke kaum noch dran. Nur ein Problem bleibt: mein Hunger.
Ich versuche, mir nichts anmerken zu lassen.
»Dann legen wir mal los«, sage ich möglichst fröhlich und schlage meinen Block auf.
»Kurze Frage«, sagt Steffen Henssler. »Möchten Sie etwas essen?«
»Ja«, bricht es ein wenig zu schnell und vor allem zu laut aus mir raus.
Steffen Henssler lacht. »Sie haben Hunger, oder?«
Oh Gott. Sieht man mir das an?
»Ach nein, aber wenn man schon mal hier, ich meine, wenn Sie drauf bestehen, aber, äh, ich esse nur etwas, wenn Sie auch etwas essen«, stottere ich und spüre förmlich, wie mir die Röte in den Kopf schießt. (Na prima, dazu habe ich also noch genug Energie in meinem Körper!)
Steffen Henssler ruft einem vorbeieilenden Kellner ein paar Worte einer anderen Sprache zu (das müssen wohl unsere Gerichte sein, wie aufregend) und wendet sich wieder mir zu. »Und nun zu Ihren Fragen.«
Ich habe mir vorgenommen, zu Beginn ein paar Fragen zu seinem Beruf zu stellen. Man soll schließlich den Interviewten gewissermaßen bei dem Thema abholen, bei dem er sich am wohlsten fühlt. Und dann, nach einer Weile harmloser Plauderei, kommen die alles entscheidenden Fragen: zur Liebe.
»Können Sie sich noch an das erste Gericht erinnern, das Sie gekocht haben?«
»Natürlich. Das war während meiner Lehrzeit. Da musste ich vor allem am Anfang immer einen kleinen gemischten Salat machen.« Er lacht.
»Der hat sicher gut geschmeckt, oder?«, frage ich. (Mir läuft das Wasser im Mund zusammen. Ein kleiner gemischter Salat würde mir jetzt schon reichen. Man kennt ja die Regel, dass man nicht im Supermarkt einkaufen sollte, wenn man Hunger hat. Ich füge noch eine zweite Regel hinzu: »Unterhalte dich nie mit einem Koch, wenn du Hunger hast.«)
»Na ja, der ist oft zu sauer geworden.«
Steffen Henssler lacht. Ich lache. [1]
»Gibt es denn etwas, das Sie überhaupt nicht mögen?«, frage ich.
»Und ob. Leber und Rosenkohl kann ich nicht ausstehen. Leber hat eine furchtbare Konsistenz, und Rosenkohl musste ich als kleiner Junge immer essen, obwohl ich ihn schon damals nicht mochte. Das ist so eine Art Kindheitstrauma.«
Steffen Henssler lacht. Ich lache. Ach, kann das Leben schön sein.
Dritte und letzte Frage zum Thema Kochen, dann geht es ans Eingemachte.
»Man kennt es ja bei Profimusikern. Freunde weigern sich, mit ihnen Hausmusik zu machen, da sie sich schämen. Wie ist es denn bei Ihnen? Werden Sie von Freunden noch zum Essen eingeladen?«
»Natürlich, aber die entschuldigen sich schon vorher immer für das, was es gibt.«
Steffen Henssler lacht. Ich lache.
Okay. Es läuft hervorragend. Es geht los.
»Kleiner Gedankenschwenk«, flöte ich. »Gibt es Ihrer Meinung nach die große Liebe? Ich meine, Liebe geht ja durch den Magen und so.«
»Die große Liebe gibt es. Aber es gibt sie nur einmal, und es heißt nicht, dass so eine Beziehung hält.«
Aber unsere wird bestimmt halten, möchte ich am liebsten sagen. [2]
»Was muss denn eine Frau haben, damit Sie sie gut finden?«
»Humor finde ich sehr wichtig. Man muss zusammen lachen
können.«
Man muss zusammen lachen können. Man muss zusammen lachen können. Wir haben in der letzten Viertelstunde auch schon viel gelacht. Ich strahle ihn selbstsicher an. Das kann ja nur was werden!
»Früher dachte ich: Gegensätze ziehen sich an«, erzählt Steffen Henssler weiter. »Heute denk ich: Man sollte sich lieber ähnlich
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