Fraeulein Jensen und die Liebe
sein.«
»Seh ich genauso«, nuschle ich, während ich eine Sushi-Rolle im Mund habe.
Steffen Henssler lacht.
»Ich meine«, sage ich schnell, als ich aufgehört habe zu kauen, »das birgt wahrscheinlich weniger Konfliktpotenzial.« Gott sei Dank. Kurve bekommen. »Konfliktpotenzial« hört sich gut an. Journalistisch. Professionell. Schnell eine Frage hinterher.
»Können Sie beschreiben, was Ihrer Meinung nach typisch für eine Frau ist?«
»Na ja, alle Frauen haben einen Hang zum Glamour. Der Pretty-Woman-Charakter steckt in jeder, glaube ich.« Er lacht. »Sie warten die ganze Zeit auf einen Prinzen, der angeritten kommt.«
Jaaaaaa, denke ich schmachtend.
»Hört sich ja ziemlich romantisch an. Sind Sie denn auch romantisch?«
»Ja, ich spreche auch eher mit dem Herzen als mit dem Kopf. Manchmal hat das aber auch Nachteile. Wenn ich zum Beispiel Liebeskummer habe, bin ich ein richtiger Volldepp. Ich sehe mir Liebesschnulzen auf DVD an und gehe alleine an der Elbe spazieren. Das volle Programm.« Er lacht.
Das ist doch wunderbar, denke ich. Ein Mann, der Gefühle nicht nur hat, sondern auch zu ihnen steht.
»Würden Sie sich denn als zu emotional beschreiben?« Welch rhetorischer Kunstgriff. Gleich wird er sagen »Zu emotional kann man gar nicht sein« und mich dabei sinnlich anlächeln.
»Ich glaube schon. Ich weine auch viel. Erst neulich, als meine Tochter Windpocken hatte. Da habe ich mitgeheult.«
Moment. Tochter? Ein Mann mit Lederarmband ums Handgelenk hat eine Tochter? Ist er etwa auch vergeben? Ich muss aufs Ganze gehen. Ich bluffe.
»Kocht Ihre Frau eigentlich auch?« (Auf diese Frage kann er wunderbar in ein lautes Gelächter fallen und rufen: »Frau? Welche Frau?«)
»Ja, leider«, sagt Steffen Henssler und lacht. »Vollkommene Talentfreiheit gepaart mit wenig Willen.«
Ich lache schnell hektisch. Er hat eine Tochter. Er hat eine Frau.
»Das ist ja schade«, stottere ich.
»Ach was, dafür kann ich ja kochen« Steffen Henssler lacht. [3]
»Womit kann eine Frau Sie denn rumkriegen?« Letzter Versuch. Vielleicht ist er ja nicht mehr glücklich in der Beziehung und sagt jetzt so etwas wie: »Dazu gehört nicht viel. Wir sind sowieso gerade dabei, uns zu trennen.«
»Mit einer guten Sauce Carbonara. Damit kann man mich beeindrucken.«
»Sauce Carbonara???«
»Die ist extrem schwer zu kochen. Das Verhältnis Sahne zu Eigelb muss stimmen, der Speckanteil ist wichtig und der schwarze Pfeffer natürlich.« Er lacht.
Sauce Carbonara. Das schaffe ich nie.
Ich bedanke mich für das Gespräch und verlasse das Restaurant.
Aber zumindest bin ich pappsatt.
[1]
Zum Glück bringt der Kellner in diesem Moment den ersten Gang: eine ganze Platte gebeizter Lachs mit einer Sauce obendrauf, in die ich mich reinlegen könnte. Ich versuche, nicht zu schlingen.
[2]
Der Kellner bringt den zweiten Gang. Grundgütiger. Es ist die größte Platte mit Sushi-Rollen, die ich in meinem Leben je gesehen habe. Ich könnte weinen vor Glück. Lasse mir aber nichts anmerken, sondern nehme vornehm (und möglichst gelangweilt) eine erste Rolle. Oh. Mein. Gott. Ich versuche, nicht laut zu stöhnen.
[3]
Der Kellner bringt den dritten Gang. Irgendwas Frittiertes mit irgendeiner Sauce. Ich kann mich nicht konzentrieren. Eine Tochter. Eine Frau. Frust essen.
10. Alexander Nuno Pickart Alvaro und schlaflos in Straßburg
Eine Woche später. Ich bin wegen Steffen Henssler immer noch so am Boden zerstört, dass ich gerade ziemlich nah am Wasser gebaut habe. Gestern hatte ich eine geschlagene halbe Stunde lang einen Weinkrampf, nachdem ich in der Werbepause von »Punkt 12« einen Spot von »Merci« gesehen habe. Es ist dieser Film, in dem sich zunächst ein Mädchen und ein Junge in der Schule zulächeln und dann – im Zeitraffer – gemeinsam erwachsen werden und sich nach dreißig Sekunden als altes Ehepaar herzzerreißende Blicke nach einem erfüllten Leben zuwerfen.
Ich erzähle Pia von meinem Heulkrampf, den ich der Merci-Werbung zu verdanken hatte.
»Na ja, ein stichhaltiger Beweis für deine ach so bemitleidenswerte Lage ist das noch nicht, meine Liebe. Ich weiß noch, wie du schon einmal bei einem Knoppers-Spot eine Träne verdrückt hast und den ganzen Tag furchtbar sentimental ›Es ist halb zehn in Deutschland‹ gesungen hast.«
»Mein Gott, Pia, das war gerade in der Zeit, als Jens Schluss gemacht hatte. Da war ich eben ein wenig angeschlagen und konnte es einfach nicht ertragen, wie glücklich die
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