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Fraeulein Stark

Titel: Fraeulein Stark Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Huerlimann
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nicht, weder schwer noch läßlich. »Unkeusche Gedanken«; Schon eher, ja, aber war es unkeusch, von der taubenzartgrauen Dämmerung unter ihren Stoffglocken angelockt zu werden, war es unkeusch, im leisen Knistern der Strümpfe ein liebliches Flüstern zu vernehmen;
    Die Abendsonne stieß ihre Lichtspanten durch das bläulich dämmernde Kirchenschiff. Es roch süßlich nach verblühten Blumen und Weihrauch und säuerlich nach dem Essigschweiß armer, vor der Madonnengrotte schluchzender Menschen. Hie und da ging knarrend das Portal auf, man hörte von draußen ein Lachen flattern, das Vorbeiknattern eines Autos, das Tor fiel dumpf donnernd zu, wieder war es still. Vor dem Beichtstuhl drängten sich ein paar alte, fromme Krähen. Die hatten es gut! Wußten, woran sie waren. Üble Nachrede, Mißgunst, Neid, Geiz, Gift -ihre Sünden waren im Katechismus ordentlich vermerkt, konnten kurz gestanden und bündig abgehakt werden. Eine nach der andern stopfte sich ins Gehäuse, wurde absolviert, hopste davon. Wieder wäre die Reihe an mir gewesen. Aber was sollte ich sagen; Sollte ich sagen: Ehrwürdiger Vater, seit einiger Zeit habe ich eine Nase und bin dadurch in die Lage versetzt, den Duft der Frauen zu riechen? Oder sollte ich mit meinem Posten beginnen und dem Beichtpriester gestehen, neuerdings müßte ich mit der Gewißheit leben, daß ich dicke Derriéres möge, schön pralle Hintern, die die Röcke zu Zelten auseinanderfalten? Wäre dies der Weg zur Absolution: Ehrwürdiger Vater, wie ich jetzt vor Ihnen knie, knie ich tagsüber vor dem Portal der weltberühmten Stiftsbibliothek, versehe die Frauenfüße mit Pantoffeln, verdrehe hie und da die Augen, schiele unter die Röcke, und glauben Sie mir, ich wäre Ihnen von Herzen dankbar, wenn Sie mir endlich erklären könnten, was mich da anzieht, was mich lockt, was mich treibt!? Nein. Hier war ich an der falschen Adresse, eben hatte die Turmuhr geschlagen, Viertel nach fünf, wenn ich rannte, konnte ich die Abendschöne noch erwischen, war schon unterwegs, hetzte treppauf, hechelnd durch die Gänge, riß an der Glocke, vorbei am Türgreis, durch den Flur, zum Portal, auf meinen Platz, gerade noch rechtzeitig, da kommt sie schon, flattert leichtfüßig heran, wird größer und schöner, und heute, meine Liebe, heute wird es mir endlich gelingen, die steifen Filzsohlen etwas anzuheben, nicht allzuhoch, aber doch so, daß sich Ihr Füßchen automatisch hebt und Ihr Knie automatisch winkelt, nicht allzusehr, aber doch so, daß Ihre Säume ein wenig hochrutschen, nicht allzuweit, aber doch weit genug, daß ich, tief Atem holend, unter Ihre Glocke tauchen, die Augen aufreißen und ganz oben –

19
    Nebel. Aber dann wurde es heller, über den grauen Hügeln schwamm buttrig die Sonne, und die Schneiderwitwe Katz, die mit ihrem Karren und den sieben Kindern über Land zog, mußte sich immer wieder den Schweiß abwischen. Joseph, der Älteste, hing an der Deichsel. Seine Geschwister sowie ein alter Koffer und die Körbe mit dem Hausrat wankten und schwankten auf der Fuhre. Wenn es hügelan ging, stemmte sich die Mutter hinter den Karren. Schneller, rief sie, den Kopf zwischen die gestreckten Arme gedrückt, mach schon, zieh!
    Der Weg führte von einem Hügel zum andern, und hinter jedem Hügel, dessen Kuppe von einem Nußbaum gekrönt war, schien mit einer weißen Kirche und den geraniengeschmückten Bauernhäusern immer wieder das gleiche Dorf in der dunstigen Senke zu liegen, stets das gleiche Dorf, der gleiche Turm, die gleichen blumengeschmückten Häuser. Kamen sie überhaupt voran?
    Wenn sie nach der Ebene fragten, schüttelten die Bauern den Kopf, manche spuckten Flüche aus, und höchstens mal ein Vazierender, der mit einem Arztköfferchen voller Tinkturen über die Dörfer zog, wies die Bagage nordostwärts weiter, auf die Berge zu. Wo sollte dort eine Ebene liegen?
    Eines Morgens wußte die Mutter nicht mehr weiter. Wieder war es neblig und schwül. Da geschah das Wunder. Eine graue Gestalt ging vorbei, Joseph packte sie am Mantelärmel und fragte, da er das Schluchzen der Mutter nicht mehr aushielt, wo die Ebene sei. Die Gestalt streckte die Hand aus und wies mit dem Zeigefinger in den dick verhockenden, kaltfeuchten, gelblichgrauen Nebel. Hier, sagte die Gestalt, das ist die Ebene.
    Nirgendwo Häuser, kein Baum, ja nicht einmal ein Strauch, der Weg wurde weich und ging über schwankend schwimmende Brücken, zusammengebundene Holzprügel, die durch die Sümpfe

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