Frag die Karten
diejenige, die den geheimnisvollen Gegenstand aufbewahrt hatte. Aber warum
ließ er sich nicht davon abbringen, als Linnea ihm gestand, sie hätte nichts
damit zu tun?
Ich glaubte ihr — weil ich zu wissen
glaubte, wer diesen besagten Gegenstand in Wirklichkeit in Verwahrung genommen
hatte.
Ich stand auf und langte nach meiner
Handtasche.
»Wohin willst du?« fragte Linnea
besorgt.
»Ich muß weg und jemanden sprechen.«
»Nach dem, was ich hier durchgemacht
habe, willst du mich schon wieder allein lassen?« Ihre Hand senkte sich auf das
halbleere Glas.
»Wie ich dir vorhin zu erklären
versuchte, ich bin nicht dein Kindermädchen. Ich habe etwas zu erledigen. Warum
nimmst du nicht ein ausgiebiges, angenehmes Bad und...«
»Du bist eine feine Freundin. Es ist
genau dasselbe wie heute nachmittag, als ich Herb anrief, nachdem mir
klarwurde, daß du dich auf meine Anrufe hin nicht melden wolltest. Ihm war es
auch völlig egal, was ich durchmachte. Er sagte, er könnte nicht verstehen,
warum ich so aufgeregt sei.«
»Vielleicht hat er nicht mitbekommen,
was du ihm sagen wolltest«, erwiderte ich und erinnerte mich an den anderen
Teil des Telefongesprächs, den ich mitgehört hatte.
»Aber er hätte versuchen müssen, mich
zu verstehen. Ich brauchte ihn!«
»Lin, du kannst dich nicht immer auf
die Hilfe der anderen verlassen. Du solltest dich auch einmal um dich selbst
kümmern.«
»Das mußt ausgerechnet du sagen! Ja,
klar, du spielst jetzt diejenige, die unabhängig ist und für sich allein sorgen
kann. Aber nur, weil du dich noch nie in deinem Leben um irgend jemanden
.gekümmert hast, und das wirst du vermutlich auch nie tun.« Linnea ergriff die
Flasche und begann sich wieder einzuschenken. Dabei verfehlte sie das Glas, und
der Whisky lief über den Tisch und tränkte den Stapel von Illustrierten, die
ich bis jetzt aus Zeitmangel noch gar nicht hatte durchschauen können.
Zugleich sah ich wieder das Chaos
draußen in der Diele vor mir. Ich hob den Blick von den whiskygetränkten Heften
zu einem Haufen von Kleidungsstücken, der am Fußende des Betts lag, dann auf
den Kater, der immer noch hinter dem Sessel kauerte. Mit einer heftigen
Bewegung ging ich auf Linnea zu, riß ihr die Flasche aus der Hand und
schmetterte sie an die gegenüberliegende Wand.
Das Glas zersplitterte wie bei einer
Explosion.
Der Kater schoß unter das Bett. Der
Whisky lief über die Wand und tropfte auf die Ablage oberhalb des Betts.
Linnea hatte die Augen weit
aufgerissen, dann öffnete sie den Mund, war jedoch zu keinem Laut fähig.
»Jetzt hör mir gut zu, du Biest«, sagte
ich mit leiser, zornbebender Stimme. »Ich habe dein Geheule und dein Gejammere
endgültig satt. Und dein Saufen. Und deine Schlamperei.«
»Sharon, ich bin völlig durcheinander.
Mein Mann hat mich verlassen, ich habe nicht genug Geld, und — «
»Oh, Linnea, hör endlich auf damit und
versuche, dich wie ein erwachsener Mensch aufzuführen. Deine Probleme sind
keineswegs so groß, als daß du ein solches Drama daraus machen könntest.«
»Wie kannst du das sagen? Ich habe eine
echte Tragödie hinter mir.«
»Eine Tragödie?« rief ich. »Vor drei
Tagen habe ich Molly dort oben liegen gesehen, und jemand hatte sie erwürgt — das
ist eine Tragödie, aber nicht deine lächerlichen, kleinen Problemchen.«
Sie sank auf dem Sessel zusammen und
öffnete die Lippen, wollte etwas erwidern.
Ich fuhr ihr über den Mund. »Von nun an
will ich nichts mehr hören darüber, wie schlecht es dir geht und wie jämmerlich
dein Leben geworden ist. Immerhin bist du am Leben. Wenn du es wegwerfen
willst, ist das deine Sache. Aber erwarte kein Mitleid von mir, denn ich habe
dir schon alles Mitleid gegeben, was ich zur Verfügung hatte.«
Ich nahm meine Tasche, zog mir ein
anderes Paar Schuhe an und ging hinaus.
Draußen auf dem Korridor lehnte ich den
Kopf gegen die Wand und atmete tief durch. Mit meinem Ausbruch hatte ich Linnea
nicht geholfen! Sie würde sich nur eine neue Flasche besorgen. Und mir selbst
hatte ich auch nicht geholfen: Ich hatte nur im Kampf um eine alte Freundschaft
eine entscheidende Schlacht verloren.
Oben im ersten Stock fiel eine Tür ins
Schloß, und dann kamen bedächtige Schritte die Treppe herunter. Ich vernahm die
Stimme von Gus.
»Miss McCone? Was ist passiert?«
Ich schaute den kleinen, grauen Mann
an. »Ich habe mit Linnea gestritten, das ist alles.«
Er nickte verstehend. »Hat sie wieder
getrunken?«
»Ja.« Ich war zu erregt,
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