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Frag die Karten

Frag die Karten

Titel: Frag die Karten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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als daß ich es
abgestritten hätte.
    Gus schaute mich besorgt an. »Sie sehen
nicht gut aus. Vielleicht sollten Sie selbst einen Schluck trinken.«
    »Das würde mir guttun. Sie haben
recht.«
    »Dann gehen Sie doch nach oben in meine
— in Mollys Wohnung. Sebastian ist dort, und er freut sich sicher, wenn er
Gesellschaft bekommt. Ich muß zum Begräbnisinstitut, um Mollys Beerdigung zu
regeln, und bleibe wohl eine oder zwei Stunden weg.«
    »Sind Sie sicher, daß Sebastian nichts
dagegen hat?«
    »Ganz sicher.«
    »Gut, dann gehe ich rauf.« Ich drückte
dankbar seinen Arm und machte mich auf den Weg nach oben.
    Nachdem ich angeklopft hatte, hörte ich
Sebastians Stimme. Die Tür war unverschlossen, und ich ging hinein. Ich wäre
etwas vorsichtiger gewesen in einer Wohnung, wo erst vor kurzem ein Mord
geschehen war, aber vielleicht glaubte der Bürstenmann an die Theorie, daß der
Blitz nicht zweimal im selben Haus einschlägt. Es saß in Mollys
Lieblingssessel, schien völlig entspannt zu sein und lauschte klassischer Musik
aus Mollys Radio.
    Ich erklärte ihm, warum ich nach oben
gekommen war, und Sebastian nickte voller Mitgefühl. »In der Küche steht eine
Flasche Brandy. Bitte, bedienen Sie sich. Und wenn Sie schon dabei sind, können
Sie mir auch noch einen Schluck einschenken.«
    Das Glas, das er mir entgegenstreckte,
stammte aus Mollys bestem Kristallservice. Als ich den Alkohol einschenkte — eine
hervorragende Marke, die sie vermutlich für einen besonderen Anlaß aufgehoben
hatte — , kam mir der Gedanke, daß Gus und Sebastian recht selbstbewußt Mollys
Hinterlassenschaft übernommen hatten. Als ich zurückkam ins Wohnzimmer, sagte ich
herausfordernd: »Sie beide scheinen es sich hier gemütlich gemacht zu haben.«
    Ein Lächeln verzerrte Sebastians
vernarbtes Gesicht. »Gus hat mich zum Abendessen eingeladen. Es gab paniertes
Huhn. Jemand muß ihm ja schließlich beibringen, wie man kocht. Und ich
versprach ihm, hier zu warten, bis er vom Begräbnisunternehmer zurückkommt,
dann kann er sich den Weg zum Zentrum für nachher aufsparen.«
    Ich war froh, daß Sebastian nicht die
skeptische Miene auf meinem Gesicht erkennen konnte, ließ mich auf die Couch
nieder und fragte: »Wie wird Gus fertig damit?«
    »So gut, wie man es unter den Umständen
erwarten kann. Er hat den ganzen Tag hier herumgewurstelt, und es wunderte
mich, daß er mich nicht mitnehmen wollte zum Bestattungsunternehmen, aber er
meinte, daß er das allein tun müßte.«
    »Dann haben Sie heute also nicht
gearbeitet.«
    »Nein, aber morgen machen wir wieder
unsere Runde. Die Waren werden jetzt schon ziemlich ausverkauft sein, und Mr.
Clemente schätzt das gar nicht.«
    »Weil wir gerade von ihm sprechen — er
hat mich heute durch das Blindenzentrum geführt. Und danach bin ich noch eine
Weile in der Nähe geblieben. Sie sollten sich wirklich mehr in Acht nehmen,
wenn Sie lauschen.«
    Seine Lippen bebten. »Haben Sie mich
gesehen, in dem Gebüsch unter dem Fenster?«
    »Na klar.«
    »War sonst noch jemand dort?«
    »Nein. Ihr Geheimnis ist wohlgehütet
bei mir. Was ist denn in Clementes Büro vor sich gegangen?«
    Nervös strich er sich über den gelben
Pullover. »Es wurde über Nevermans Frauenprobleme geredet.«
    »Aber es muß interessant gewesen sein.
Sie haben lange genug zugehört.«
    »Miss McCone, lassen Sie es mich
erklären. Ich halte im Zentrum gern die Ohren offen. Man weiß nie, was
geschieht, und ich machte mir Gedanken darüber, ob die Gelder für das kommende
Jahr bewilligt werden würden. Wenn es das einzige Heim ist, das man hat, möchte
man wissen, was dort vor sich geht, aber keiner sagt uns ein Wort.«
    »Na schön — aber achten Sie darauf, daß
man Sie nicht erwischt.«
    »Ich hätte nie gedacht, daß mich jemand
sieht — an einem Ort, wo die meisten blind sind. Und — Sie haben recht, ich
werde mich in Zukunft vorsehen.«
    Sebastian strich noch immer über den
Pullover. Das Material sah wie Kaschmir aus, seidig und glatt. Für einen
Blinden waren angenehme Berührungen ein sehr wichtiger Teil der Empfindungen,
aber mir kam es dennoch als ein recht kostspieliges Vergnügen vor. Der
Personalchef der Erdölraffinerie hatte von Sebastians Leidenschaft für
Pferdewetten gesprochen. Vielleicht war an deren Stelle nun eine Leidenschaft
für Luxusartikel getreten.
    Ich fragte ihn: »Weshalb leben Sie
eigentlich noch im Zentrum, Sebastian? Herb sagte mir, Sie seien dort schon
gewesen, als er die Leitung übernahm,

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