Frag die Karten
Mandant unter dem Siegel der Verschwiegenheit mitgeteilt
hat.«
Die übertriebenen Vergleiche ärgerten
mich, aber ich blieb höflich: »Selbst in solchen Fällen ist es durchaus
möglich, Informationen preiszugeben, wenn dadurch ein Mordfall geklärt werden
kann. Dazu sind sogar Psychiater verpflichtet.«
Sie richtete sich steif auf.
»Vermutlich haben Sie recht. Für Fachleute wie mich gibt es eine Pflicht...«
Plötzlich schien ihr ein Gedanke zu kommen. »Moment mal — untersuchen Sie denn
einen Mordfall? Im Auftrag des Anwaltsbüros All Souls?«
»Woher wissen Sie, für wen ich
arbeite?«
»Von Molly. Sie hat mir oft nützliche
Dinge erzählt....« Wieder ließ sie eine Pause entstehen und errötete dabei
leicht.
»Wie zum Beispiel auch, was Sie über
Linnea erfuhren und ihr dann während der Sitzung auf den Kopf zusagten. Und
das, was Sie mir gestern abend mitteilten.«
»Wir haben damit nichts Böses gewollt.
Sie müssen das verstehen.«
»Was muß ich verstehen?«
»Es ist nicht leicht, sich mit diesem
Beruf seinen Lebensunterhalt zu verdienen, meine Liebe. Wenn man über ein paar
Informationen verfügt, wirken die Sitzungen wesentlich überzeugender.«
»Hören Sie, ich bin nicht hier, um Ihre
Berufsmoral in Frage zu stellen. Ich möchte nur wissen, was Ihnen Molly an
ihrem letzten Tag mitgeteilt hat.«
Sie schwieg.
»Was es auch war, es muß Ihnen jetzt
sehr nützlich sein.«
»Ich weiß nicht, was Sie damit meinen.«
Sie wollte sich indigniert geben, aber es klang tonlos und ohne
Überzeugungskraft.
»O ja, das wissen Sie genau, Anya.
Molly hat Ihnen etwas verraten, etwas, was Ihren Einfluß auf Jeffrey — sagen
wir, wesentlich verstärkt. Und genau das war der Hebel, nach dem Sie lange
gesucht haben.«
Sie schüttelte abwehrend den Kopf.
»Wollen Sie vielleicht abstreiten, daß
Sie gestern abend gegen elf im Blindenzentrum angerufen und nach Jeffrey
verlangt haben?«
»Das ist nicht wahr!«
»Ich habe es zufällig mit angehört,
Anya.«
»Hat eine Frau denn nicht einmal mehr
das Recht, ihren Mann anzurufen? Ich mußte ihm ein paar Fragen stellen — über
unseren gemeinsamen Steuerbefreiungsantrag.«
»Was Sie ihm auch am Telefon gesagt
haben mögen — es ging dabei nicht um die Sache, die Sie in Wirklichkeit mit ihm
besprechen wollten. Wahrscheinlich haben Sie sich mit ihm verabredet - ich
vermute, für heute mittag.«
Ihre dunklen Augen funkelten. »Warum
hätte ich das tun sollen?«
»Um ihm ein Ultimatum zu stellen.
Entweder er würde zu Ihnen zurückkehren, oder Sie würden zur Polizei gehen mit
dem, was Ihnen Molly in Verwahrung gegeben hat. Was das auch sein mag — es
bringt Jeffrey in Verbindung mit dem Mord an Molly — habe ich recht?«
»Nein!« rief sie erregt. »Nein! Davon
kann keine Rede sein.«
»Dann gestehen Sie zumindest ein, daß
Ihnen Molly etwas zum Aufbewahren anvertraut hat. Was war es? War es das, was
Jeffrey nicht finden konnte, als er vorgestern nacht Mollys Wohnung
durchsuchte?«
»Das hat er nicht getan!«
»Wollen Sie wirklich einen Mörder dazu
zwingen, bei Ihnen zu wohnen? Wäre das nicht äußerst riskant für Sie?«
Anya senkte den Kopf. »Er ist kein
Mörder«, flüsterte sie matt.
Ich blieb beim Thema und ließ nicht
locker. »Ach, wirklich nicht? Wissen Sie, was Jeffrey heute nachmittag Herb
Clemente gegenüber geäußert hat? Er sagte, er würde Sie lieber tot sehen als zu
Ihnen zurückkehren. Ich würde einen solchen Mann nicht bei mir wohnen lassen.«
Sie hob den Kopf, und sie spitzte
kindlich die Lippen, dann legte sie eine Hand auf den Mund.
Mir war nicht wohl angesichts der Art
und Weise, wie ich ihre Welt zerstörte, aber ich zwang mich, fortzufahren. »Es
ist wahr, Anya. Ich habe es mit eigenen Ohren gehört.«
Die Krähe wurde unruhig in ihrem Käfig.
Nach ein paar lastenden Sekunden des Schweigens senkte Anya die Hand und fragte
müde:»Dann kommt er also nicht nach Hause?«
»Nein. Er liebt Sie nicht, und Sie sind
besser dran ohne ihn. Sind Sie jetzt bereit, mir zu sagen, was Molly Ihnen — «
»Nein!« Sie sprang auf und ballte in
einem plötzlichen Ausbruch die Hände zu Fäusten. Dann wandte sie sich nervös
hierhin und dorthin, als hätte man sie in die Ecke gedrängt. Der bunte Schal
rutschte ihr von den Schultern und fiel zu Boden; sie achtete nicht darauf und
trampelte auf dem bunten Stoff herum.
»Das dürfen Sie nicht tun!« jammerte
sie. »Sie können mir nicht alles zerstören und Jeffrey davon abhalten, daß
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