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Frag die Karten

Frag die Karten

Titel: Frag die Karten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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nach!
    »Ich kann nicht. Ich kann das nicht
ertragen.«
    Geh hin. Du mußt.
    »Ich kann nicht!«
    Geh!
    Ich kniete mich neben sie und strich
ihr das Haar zurück, das sich vom Silberkamm gelöst hatte und über ihr Gesicht
gefallen war. Ihre blutunterlaufenen Augen starrten mich leer an. Das Gesicht
war dunkelrot angelaufen. Die Würgemale am Hals sagten mir alles, was ich
wissen mußte.
    Ich erhob mich und ging rückwärts,
wobei ich über einen Sessel stolperte. Wie lange war ich im Badezimmer
eingesperrt gewesen? Zehn Minuten? Eine Viertelstunde? Wie lange war es her,
seit ich die Stimmen gehört hatte? Ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren, war
so mit dem verdammten Vogel und dem Fenster beschäftigt gewesen, daß ich auf
nichts anderes geachtet hatte.
    Jetzt kam es erst einmal darauf an, daß
ich mich beruhigte und feststellte, ob der Mörder das bekommen hatte, was Anya
für Molly aufbewahrte. Wo konnte sie es versteckt haben?
    Die meisten Menschen verstecken ihre
Schätze an den seltsamsten Plätzen. Das Geld in der Matratze, das Marihuana in
der Schachtel mit Heftpflaster, den Schmuck in der Keksdose.
    Ich begann zu suchen.
    Anya bewahrte ein paar Dutzend Dosen
mit Vogelamuletten wie die, welche sie mir und Linnea gegeben hatte, im
Wäscheschrank auf. Im Badezimmerschrank befand sich ausreichend Toilettenpapier
für eine kleine Armee. Im Nachttisch entdeckte ich Süßigkeiten, zwischen den
Polstern ihres Sessels steckte ein Taschentuch, und im Regal standen
ungewöhnlich viele Bücher auf dem Kopf.
    Ich bewegte mich so leise wie möglich
und benützte Papiertaschentücher, um keine Fingerabdrücke zu hinterlassen.
    In der Küche fand ich den
Schokoladenkuchen, den Anya für Jeffrey gebacken hatte. Eine Flasche Wild
Turkey stand daneben auf dem Küchentisch. Hübsche Pozellanteller,
handgeschliffene Kristallgläser und silbernes Besteck waren aufgedeckt.
    Was für eine rührende Phantasie mußte
die Wahrsagerin entwickelt haben! Nachdem sie Jeffrey erpreßt hatte, damit er
nach Hause kam, nahm sie an, es würde zu einem festlichen Abendessen für zwei
kommen, und danach würden sie für immer und in Freuden beisammenwohnen! Ich
empfand großes Mitleid mit ihr.
    Anyas Vorratsschränke waren gefüllt mit
Konservendosen, Teigwaren, Mehl und Zucker. Ein paar Teller standen gespült auf
der Abtropfschale. Die Küchengeräte funkelten vor Sauberkeit. Im Kühlschrank
war Milch, frisches Gemüse und eine Flasche guter Wein. Im Tiefkühlfach
entdeckte ich Fleisch, Fertigmenüs und eine Schachtel mit Nylonstrümpfen.
    Erleichtert nahm ich sie aus dem Fach.
Es waren drei Paar handelsübliche, kniehohe Strümpfe, wie man sie zur Hose
trug.
    Das mußte es sein. Aber was konnten die
Strümpfe bedeuten?
    Das Telefon klingelte, zerriß die
Stille und zerrte an meinen Nerven. Ich starrte gebannt auf den Apparat, dann
warf ich die Schachtel mit den Nylonstrümpfen in meine Handtasche. Höchste
Zeit, daß ich hier rauskam. Ich konnte nur hoffen, daß mir auf der Treppe
niemand begegnete.
    Aber vor der Tür von Anyas Wohnung
blieb ich stehen. Die Schublade des kleinen Tischchens dahinter stand noch
offen. Und sie war leer. Der Mörder hatte den Revolver der Wahrsagerin
mitgenommen.
    Ich ging hinaus und lief nach unten,
vorbei an meiner Wohnung, wo wieder einmal die Stereoanlage plärrte. Ich wollte
den Mord anonym von der Telefonzelle an der Ecke aus melden und dann tun, was
zu tun war. Sicher, ich hätte hierbleiben müssen, wollte aber nicht kostbare
Zeit vergeuden, um der Polizei zu erklären, was ich im Bad zu suchen hatte, in
Gesellschaft einer Krähe, während Anya ermordet worden war.
     
     
     

Kapitel
16
     
    Als ich aus der Telefonzelle trat,
hielt gerade der blaue Lieferwagen des Blindenzentrums vor dem
Albatroß-Lebensmittelladen. Neverman saß am Steuer.
    Genau derjenige, den ich jetzt sprechen
wollte.
    Mr. Moe kam aus dem Geschäft und hielt
einen Schlüsselbund in der Hand. Nevermans Finger trommelten ungeduldig auf das
Lenkrad.
    Ich lief zu der Stelle, wo ich meinen
Wagen geparkt hatte; vor meinem Gespräch mit Mr. Moe. Dort angekommen, stieg
ich ein und drehte den Rückspiegel so, daß ich sehen konnte, wie der
Lebensmittelhändler in den Lieferwagen kletterte.
    Neverman stieß mit dem Wagen zurück,
wendete auf der Kreuzung und fuhr an meinem Parkplatz vorüber, in Richtung Süden,
auf die Guerrero Street zu. Ich ließ den Motor an und folgte ihm.
    An der Army Street bog der Lieferwagen
links ab und führte

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