Fragmente des Wahns
was sollte dein Auftritt?! Du kannst dich doch nicht so aufführen. Willst du wirklich, dass sie uns die Polizei auf den Hals hetzt?“
„Nein, natürlich nicht. Aber das ist das Haus, Andreas. Dort drinnen muss sie sein und diese Frau verheimlicht etwas. Ganz bestimmt!“
„Hörst du dir eigentlich noch zu, wenn du redest? Hörst du, wie verrückt du dich gerade anhörst? Hast du wirklich mitbekommen, was gerade passiert ist? Komm bitte wieder runter, Alex.“
„Nein, Andreas … du verstehst es nicht! Alle haben mir gesagt, dass es dieses Haus nicht gibt und jetzt steht es da, genau so, wie ich es gesehen habe!“
„Und was ist, wenn es nur so ähnlich aussieht und du dir einfach zusammenreimst, dass es das Haus aus deiner Halluzination ist?“
„Nein, so ist es nicht!“
„Doch, Alex, ich glaube schon. Und selbst wenn, wir können nichts machen. Das ist nicht die Frau, die du gesehen hast und diese Frau lässt nicht mehr mit sich reden, so wie du dich aufgeführt hast.“
„Aber …“
„Alex, bitte. Diese Frau hetzt uns die Bullen auf den Hals und was dann? Willst du ihnen die gleiche Geschichte erzählen wie mir? Die stecken dich doch sofort in eine Zwangsjacke.“
„So denkst du also darüber.“
„Ja, Alex! Genauso denke ich darüber. Aber das habe ich dir davor schon gesagt. Du gehörst in ein Krankenhaus und nicht auf Haussuche!“
„Du verstehst mich einfach nicht!“
„Nein, niemand versteht dich! Weil du nicht mehr normal denken kannst.“
Alex wandte sich von seinem Bruder ab.
„Du solltest verschwinden.“
„Was?“ Andreas konnte nicht glauben, was er da hörte.
„Du hast schon verstanden. Lass mich allein.“
„Nein, Alex. Nichts gibt es. Du fährst jetzt schön brav mit mir nach Hause und dann geht es ab ins Krankenhaus.“
„Nein, Andreas. Du verstehst nicht!“ Alex war sichtlich wütend. „ Du kannst machen, was du willst! Lass mich einfach nur in Frieden! Wenn du glaubst, dass ich wahnsinnig bin, okay, aber dann lass mich auch allein.“
„Okay, von mir aus!“ Nun drehte sich Andreas von seinem Bruder weg und ging ein paar Schritte in die andere Richtung. „Ruf mich an, wenn du dich beruhigt hast.“ Mehr gab es dazu nicht zu sagen. Andreas verschwand hinter der nächsten Ecke.
Wie weit willst du noch gehen, Alex?
Wie weit?
Alex hatte es gerade mal zwei Straßen weiter geschafft, um sich auf den Rand des Bürgersteiges zu setzen und die Hände über dem Kopf zusammenzuschlagen. Er war mit den Nerven vollkommen am Ende.
Das war es also? Mehr war nicht drin? Er hatte das Haus gefunden und alles, was er dafür bekam, war eine weitere Tracht Prügel? Was musste er noch tun? Was war der Weg zur Erlösung? Er wusste es einfach nicht.
Alles was er tat, endete schlussendlich in einer Katastrophe. Alex hatte Lisa verloren, er hatte Lilli verloren und nun hatte er auch noch Andreas verloren. Was noch, was fehlte noch? Vielleicht er selbst? Musste er sich selbst verlieren?
Alex hievte sich hoch und folgte weiter der Straße. Doch wo sollte er hin? Was sollte er jetzt tun? Hatte Andreas doch recht? Sollte er zurück nach Regensburg und ins Krankenhaus fahren? Sollte er sich weiter untersuchen lassen? War er wirklich wahnsinnig?
Er hatte einmal gelesen, dass Menschen, die glauben, verrückt zu sein, es nicht sind, da Menschen, die verrückt sind, glauben, dass sie ganz normal sind. Wenn das also stimmt, war er dann verrückt, weil er glaubte, das Richtige zu tun?
Immer wieder das Gleiche. Er war es so leid. Egal wie sehr er sich auch anstrengte, nichts funktionierte. Er landete immer wieder am Anfang. Nichts hatte sich seit dem Autounfall verändert. Er hatte immer noch das Gefühl, etwas verändern zu müssen. Doch was?
Ein kleiner Park erschien auf der rechten Seite. Alex steuerte darauf zu und ließ sich auf eine der Holzbänke fallen. Er war so müde. Er fühlte sich verlassen und allein. Sein Körper, sein Geist, alles war zerstört. Er konnte nicht mehr.
Dann zog er sein Handy aus der rechten Hosentasche und betrachtete es. War das die Lösung? Musste er aufhören, er selbst zu sein und das tun, was die anderen von ihm wollten?
Könnte er so wieder normal werden?
Alex wählte.
Es klingelte.
Es wurde abgehoben.
Eine junge, attraktive Stimme meldet sich zu Wort.
„Willkommen bei der Auskunft. Was kann ich für Sie tun?“
„Können Sie mich bitte mit dem Krankenhaus ‚Barmherzige Brüder’ verbinden?“
„Gerne. Einen Moment.“
Alex
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