Frame, Janet
Telegrafenleitung, der dort hängt, weil er geheult hat, das Zahnweh im schwarzen Loch der Nacht, der zu große Körper, der sich im zu kleinen Kinderbett krümmt, die Großmutter, die sich in der heißen Sonne Virginias schindet, Großmutter, was hast du für große Augen; und der Junge im Bauch des Fuchses, schnipp, schnipp, aufgetrennt, Junge, Mädchen oder Tag gefangen im luftlosen Bauch der Erinnerung.
Nun, da Francie tot ist, bin ich, Daphne, die älteste Schwester, das älteste Kind der Familie, Toby nicht mitgerechnet, der Anfälle bekommt und manchmal im Krankenhaus liegt, die Lippen schlaff wie Gummi und mit Speichel bedeckt, das Gesicht verzerrt und die Augen hervorgequollen. Er erkennt uns nicht, wenn wir zur Besuchszeit hingehen, und die Schwester führt uns einen Korridor entlang zu einem Zimmer, das wie ein Käfig aussieht, mit Gitterstäben, in dem Toby auf einem hohen Bett liegt, weiß und sauber wie ein Porzellanteller, so hoch wie das Bett, auf dem die Prinzessin lag, auf zwanzig Matratzen; die echte Prinzessin. Toby, wenn du wieder gesund bist, gehen wir zur Müllgrube und suchen Schätze. Einen Diamanten. Einen Goldklumpen. Einen Moaknochen. Toby, wir müssen Dinge finden, die andere Leute als wertlos weggeworfen haben, Tag und Nacht stehen sie am Rande des Abgrunds und werfen, und nachts können sie manchmal nicht sehen, was sie wegwerfen; nachts oder im Schlaf oder im Traum; bis sie zu alt und zu spät erwachen.
Toby, wenn du aus dem Krankenhaus kommst und sie die Rechnungen bezahlt haben – aber sie werden die Rechnungen nie bezahlen. Der Fensterumschlag vom Krankenhaus wird kommen, und unsere Mutter wird ihn in die Uhr legen oder an den Kalender heften; und wenn unser Vater abends nach Hause kommt, wird er danach greifen, ihn gegen das Licht halten, damit er den Brief durch den Umschlag hindurch lesen kann und vorbereitet ist, und ihn dann aufreißen und die Hände hochwerfen oder wütend durch das Zimmer tanzen wie Rumpelstilzchen, nur dass er nicht durch den Fußboden fährt, und dann wird er brüllen:
«Geld! Geld!»
Und aus einem Loch in der Ecke der Truhe wird eine Maus krabbeln und mit einer Stimme, als ob es hundert oder tausend wären, flüstern: Geld? In der Truhe heben wir alte Schuhe auf und Bücher und Lederstücke, die unser Vater zum Ausbessern nimmt. Wo ist der Leisten?, ruft er. Hat jemand den Leisten gesehen, und den Hammer und die Schachtel mit den Nägeln? Und abends kommen Männer mit blauen Schirmmützen und helfen ihm, unsere Schuhe zu flicken.
Ach, Toby. Unser Vater trägt beim Flicken keine Brille. Er sieht so flink wie das Licht in die dunklen Ecken, oder so flink wie die kleine Forelle, die mit dem Bauch am Grund dahinhuscht, um sich unter dem überhängenden Ufer zu verstecken.
Vielleicht also wird unser Vater noch nicht blind. Weißt du noch, Großvater trug eine Brille und schob sie immer auf die Stirn, als ob er da oben an der glänzenden Stelle grad unter dem Haar, der glänzenden Stelle, die sich bei alten Leuten und Babys auch mit Schuppen bedeckt wie bei Fischen, als ob er da oben ein geheimes Paar Augen hätte, die eine Sehhilfe brauchten. Das Etui für seine Brille war abgewetzt und glänzte ebenfalls und hatte orangefarbene Flecken. Waren das Tupfen? Was sind Tupfen, Toby? Ich habe gehört, wie irgendjemand von Tupfen gesprochen hat, ich glaube, es war Tante Nettie, weißt du noch, wie wir sie eines Tages durch die Tür beobachtet haben? Sie hatte ein Döschen mit einem Deckel aus Pauamuscheln vor sich auf dem Frisiertisch stehen und eine Puderdose in der Hand, und sie puderte sich das Gesicht und lächelte sich heimlich im Spiegel zu. Ein Lächeln voll Entzücken und Einverständnis und dem, was man Weisheit nennt. Und dann drehte sie sich um und sah uns und wurde rot.
«Was fällt euch ein, zuzusehen, wenn ich mich zurechtmache.»
Es war eine Sünde, Tante Nettie zuzusehen, wenn sie sich zurechtmachte. Und was es für sie noch schlimmer machte, war glaube ich, dass wir jetzt wussten, dass sie noch ein anderes Gesicht mit einem anderen Lächeln hatte. Wir hatten sie ertappt wie eine Diebin. Sie war immer noch rot.
«Ihr ungezogenen Kinder.»
Als ob wir ihr auf der Toilette zugesehen hätten oder beim Nasebohren oder bei sonst irgendetwas, was man nur ganz für sich alleine macht.
Aber Toby, du wirst nicht gesund. Du kennst uns nicht und sprichst nicht mit uns, und Chicks und ich spielen miteinander und warten darauf, dass du nach Hause kommst,
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