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Frame, Janet

Frame, Janet

Titel: Frame, Janet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wenn Eulen schrein
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nur die zwei näher kommenden Traummenschen; und ich begann zu singen, ein Kinderlied, das wir vor vielen Jahren in der Schule gehabt hatten, über Miska und Panni:
Miska kam vorbeigeritten, ach, wie froh er war,
Panni stand am Rand des Wassers, ach, wie schön sie war.
Rot sein Mantel, gelb die Stiefel, niemand war so froh wie er,
doch der Strom floss zwischen Panni und ihrem Liebsten einher.
    Und nachdem ich das Lied gesungen hatte, wurde die Welt plötzlich dunkel, so wie ich aus der Geografiestunde erinnere, dass es in der Wüste dunkel wird, als würde das Leben der Sonne plötzlich ausgelöscht; und ich sah, weit weg und unerreichbar, unser Haus, ich konnte die großen Glasfenster und die frei tragende Terrasse erkennen, jede Einzelheit, bis hin zur gelben Dachrinne, aber das Haus schien aus Papier zu sein, denn die Wände flatterten und schlugen hin und her. Jetzt fällt mir ein, dass die Wände schwarz waren, denn ich sah sie eine ganze Zeit lang hin und her schlagen, ehe ich erkannte, dass ich etwas anderes flattern sah. Es war ein schwarzer Papiermann, der am Himmel hing.
    «Dr. Bessick», rief ich.
    Dann sah ich, dass es Tim war, und er hielt eine Mappe mit einer goldenen Aufschrift unter dem Arm, ich konnte sie von dem Platz aus, wo ich stand, lesen, und sie hieß – Verkaufsbericht Verkaufsbericht Verkaufsbericht.
    Ich fand das sehr komisch und fing an zu lachen, und dann tat mir die Seite weh, und ich konnte nicht mehr stehen und legte mich auf den Teppich, der in der Wüste lag, und dachte, jetzt muss ich sterben. Wo sind Toby und Francie und Daphne? Und meine Mutter und mein Vater? «Francie, Francie», rief ich aus. «Toby, Toby. Daphne.»
    Niemand kam. Ich fühlte mich einsam und unglücklich, weil niemand zu mir kam. Das kleine Arabermädchen war wieder aufgetaucht, aber es war verändert und glücklich, es stand lächelnd da und hielt in einer Hand eine Toitoifeder und in der anderen einen mit Käse bestrichenen Salz-Cracker. Ich glaube nicht, dass sie mich sah. Ich fing wieder an zu weinen, und das war der Punkt, an dem ich aufwachte und in dem Zwischenstadium zwischen Wachen und Träumen den schwarzen Papiermann tot neben mir liegen sah; und ich schrie laut auf, es war alles so seltsam, und eine Sekunde lang wünschte ich mir, ganz anders als sonst, wieder ein kleines Mädchen mit dunklem Haar und schmutziger Schürze voller Flecken zu sein, das in der Müllgrube sitzt und zum Himmel hinaufschaut, an dem die Wolken wie weiße Pantoffeln oder seidene Fische stehen.
    Diesen Traum aufzuschreiben hat mich völlig erschöpft.
    Gute Nacht.
    Samstag
    Ich glaube, in mancher Hinsicht wird es schön sein, nach Waimaru zurückzukehren – mich den Leuten zu zeigen, die mich als Kind gekannt und als abgerissenes, kleines dunkles Mädchen in Erinnerung haben, als Küken, als stilles, schüchternes High-School-Mädchen in einem Schulkleid, das so klein war, dass es selbst mir, die ich doch wahrhaftig winzig war, nicht passte; als Lumpenkind, das zum Schlachter oder Kaufmann oder in den Papierladen ging und, weil ich kein warmes Geld in der Hand hatte, sagte: «Für Sixpence Gehacktes, bitte» oder «Zwei Pfund Suppenfleisch und für zwei Pence Gehacktes für die Katze». Es muss doch eine wahre Wonne werden, wenn ich zurückkomme und die Leute feststellen, dass ich erwachsen und verheiratet bin und Kinder habe (zwei Jungen und ein Mädchen – wo findet man wohl eine bessere Kombination?), dass mein Heim eine Waschmaschine enthält, einen Electrolux, einen Kühlschrank, ein Dampfbügeleisen, einen elektrischen Herd und all die modernen Geräte, die sich meine Mutter nie hätte träumen lassen, und die, davon bin ich überzeugt, die Hälfte meiner früheren Freundinnen nie haben wird. Ach, in Waimaru festzusitzen, wie sollte ich das nur ertragen, wenn ich nicht so viel vorzuzeigen hätte?
    Mittwoch
    Heute Morgen kam die Nachricht, dass Mutter gestorben ist. Im Telegramm stand, dass sie in der Nacht friedlich entschlafen ist und dass alles gut ist. Wie seltsam zu schreiben, dass alles gut ist! Es wirkt fast wie ein Postskriptum, das meine Mutter selbst daruntergesetzt hat. Ist sie wirklich tot? Ich habe bis jetzt noch nicht geweint, es ist irgendwie alles noch so weit weg. Wir fahren nicht zum Begräbnis in den Süden, das ist mit den Kindern und allem unmöglich, aber wir haben einen wunderschönen Kranz geschickt aus den ersten Veilchen und Narzissen und mit einer Karte von Petersons, die auf geschmackvolle

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