Framstag Sam
wischte sich mit dem Handrücken den Schaum von den Lippen und warf einen Blick auf die Marsmännlein, die auf dem Kronleuchter saßen und ihn nun im Quartett auslachten.
Dann fiel sein Blick auf Lode.
»Lode!« rief Sam. »Komm an meine Brust!«
Natürlich tat Lode das nicht. (Und wer wollte es ihm auch verübeln?) Zu jeder anderen Zeit wäre eine solche Aufforderung ja in Ordnung gewesen – aber um zwei Uhr morgens in einer zweitklassigen Kneipe? Konnte man sich da auf einen Tisch stellen, der von vollen Aschenbechern und umgekippten Biergläsern nur so überquoll? Man hat schließlich auf seinen Ruf zu achten.
»Lode«, sagte Sam, »ist mein bester Freund. Er ist Reporter.«
Lode wurde mit donnerndem Applaus begrüßt.
»Lode«, lallte Sam weiter, »du hast gehört, was ich soeben verkündet habe. Was ich zu sagen habe, ist… äh… prophetisch gemeint. Ich fühle, daß die Zeit jetzt endlich reif ist für eine Große… Relovution.«
»Revolution«, korrigierte Lode lachend.
»Revolution. Wir wollen endlich auch einen Framstag haben, damit wir den Verabredungen mit unseren Mädchen nachkommen können.«
»Na schön«, sagte Lode, »aber vorher solltest du erstmal wieder nüchtern werden.« Er ging auf Sam zu und zerrte an dessen rechtem Hosenbein. »Komm schon, Sam! Ich bringe dich nach Hause.«
»Niemals«, sagte Sam und fügte schnell hinzu: »Oder besser doch.« Sein Publikum hatte sich nämlich inzwischen in alle Winde zerstreut und saß wieder an den Tischen oder der Theke, um sich noch einen zu genehmigen. Sam stand mutterseelenallein auf seinem Tisch, und Lode zerrte noch immer an seinem Hosenbein.
Auf der Türschwelle stand ein Polizist.
Sam lachte blöde. Lode tat es ihm gleich. Dann gingen sie gemeinsam an dem wortlosen Polizisten, der sich allerdings sein Teil dachte, vorbei und verschwanden auf die Straße.
»Du hast dich wie ein Idiot aufgeführt«, sagte Lode.
»Du weißt ja nichts von meinem Schmerz«, sagte Sam und hickte. »Ich hatte eine Verabredung mit ihr, mit Julie, am Framstag. Und sie war nicht da.«
»Du hast einen Knoten in der Zunge«, sagte Lode. »Ich habe Framstag verstanden.«
»Hab' ich ja auch gesagt.«
»Und was meinst du damit?«
»Sonntag«, erwiderte Sam.
»Du bist nicht zufällig in letzter Zeit bei einem Psychiater gewesen?« erkundigte sich Lode besorgt.
»Wo denkst du hin? Natürlich habe ich alle fünf Sinne beisammen. Mindestens. Ich habe sie angerufen, weil ich wissen wollte, was es mit Framstag auf sich hat.«
»Tatsächlich?«
»Ja, gestern rief ich sie an. Gestern war doch Samstag?«
»Vorgestern«, sagte Lode nüchtern. »Es ist jetzt halb drei. Wir haben schon Montag.«
Sam dachte darüber nach. Das verwirrte die Erklärung natürlich, die er gerade hatte abgeben wollen.
»Hör zu«, sagte er. »Ich habe sie am Samstag angerufen, und da sagte sie ›Bis morgen‹. Nach Samstag kommt doch Sonntag, nicht wahr?«
»Soweit ich weiß, ist das immer noch so.«
»Gut. Dann muß Sonntag der Tag sein, den die Schickeria auf Framstag umgetauft hat. Irgendwie muß das so zusammenhängen.«
»Ich hab' selten einen solch blühenden Unsinn gehört«, brummte Lode. »Sie hat dich an der Nase herumgeführt. Und du willst es einfach nicht wahrhaben.«
Sam brach in Tränen aus. »Mein Leid ist unerträglich«, schluchzte er, unterbrochen von einem Schluckauf und zitierte damit vortrefflich die 902. Folge der beliebten Romanheftserie Das grausame Schicksal der Baroneß Katrin.
»Geh zur Seite. Ich werde mich ersäufen.«
»Das Wasser ist naß und kalt, Sam.«
»Na ja«, erwiderte Sam und warf einen Blick auf die schwarze Wasseroberfläche, »damit hast du recht. Dann vielleicht ein andermal.«
Arm in Arm gingen sie weiter.
»Du glaubst mir also nicht?« fragte Sam nach einer Weile.
»Türlich nicht«, sagte Lode. »Du bist ja sturzbetrunken.«
»Nur ein bißchen«, gab Sam zu. »Paß auf, wir können ja eine Probe aufs Exempel machen. Siehst du den Premierminister da drüben?«
»Wo?«
»Da. Neben dem Laternenpfahl.«
An dem bezeichneten Laternenpfahl stand tatsächlich ein korpulenter Herr mit Zylinderhut und Frack. Er war verzweifelt bemüht Haltung zu bewahren, und versuchte gleichzeitig vergeblich, den Laternenpfahl mit einem Schlüsselbund zu öffnen, der durch eine dicke Kette mit seinem Bauch verbunden war.
Lode sah sich den Mann etwas näher an.
»Bimmelzerbott«, stammelte er dann. »Es ist tatsächlich der Premierminister! Ha,
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