Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho
konnte.
Zum ersten Mal wirkte er beleidigt. »Wir sind Männer des Glaubens, Isha. Wir schänden keine Frauen. Der Samen unseres Stammes wird nicht achtlos verstreut wie jener von Götzendienern! Wir führen unseren Krieg auf dem Land im Auftrag von el haShaday, nicht um unsere Körper zu beflecken.« Er sah mich an, als wollte er mich gleich anspucken.
Mein Atem ging flach. Sollte ich seinen Bedingungen zustimmen? Oder gab es eine bessere Zukunft für mein, für dieses Volk? Jetzt sah ich zum ersten Mal über Yoavs Schulter hinweg auf Cheftu. Sein Blick war dunkel, seine Miene eingefroren. Die Alternative wäre der Tod gewesen, Chloe. Verglichen damit sieht es gar nicht so schlecht aus.
Aber nur verglichen damit - aus jedem anderen Blickwinkel war es grauenvoll!
Yoav erhob sich. »Denk darüber nach, haDerkato. Ich werde auf deine Antwort warten.« Er blickte zum Himmel auf. »Ich lasse euch Zeit bis zur Abenddämmerung.«
»Wie soll Ich mit dir Verbindung aufnehmen?«
»Ich werde an deinen Taten erkennen, wie du entschieden hast. Wenn ich die Hälfte der verbliebenen Einwohner unter deiner Führung aus dem Tor kommen sehe, dann weiß ich Bescheid. Falls nicht, werde ich Ashqelon dem Erdboden gleichmachen. Wie du selbst gesagt hast, haben Yaffo und Qisilee
ebenfalls einen Hafen. Wir brauchen eure Stadt nicht.«
Er drehte sich um und ging davon.
Die Zwillinge und der Klingone eilten an Yoavs Seite, während N’tan ihnen hinterhertrödelte. Wieder marschierten sie zu fünft über den Strand.
Am ganzen Körper zitternd, sackte ich auf meinem Stuhl zusammen. Was hatte ich getan? Was konnte ich noch tun? Wieso musste ausgerechnet ich das tun? Wieso hatte mir Takala diesen Fluch auferlegt? Wieso konnte ich nicht einfach abhauen? Tamera erschien mit einem Jogurt-Gurken-Getränk in der Hand. Es besänftigte meinen Magen, während ich die verschiedenen Alternativen abwog. »Wie viele Boote liegen im Hafen? Genug, um uns alle nach Qisilee zu bringen?«
»Lo, Meeresherrin. Sie liegen alle noch nach dem Winter im Trockendock und müssen repariert werden.« Sie rückte ihren Fischanzug gerade. »Zu dieser Jahreszeit segelt niemand.«
So viel zu einer Flucht. Ich kippte den Rest meines Drinks hinunter. »Was ist vorgefallen?«, fragte sie. »Die Serenim der überlebenden Städte in ha Hamishah erwarten sehnlichst einen Bericht.«
Würden sie meine Vorschläge tatsächlich befolgen? Ich war ihre Göttin, aber sie glaubten doch bestimmt nicht, dass ich deshalb gottgleich war? Allein die Vorstellung erschien mir anmaßend. Doch andererseits war auch die Sache mit dem Seiltanz ziemlich unglaublich gewesen, und trotzdem hatten sie mich dadurch erwählt. Ich atmete tief durch und brachte mit ein paar Sätzen ihre Welt zum Einsturz.
»Die Tage unserer, ähm, Überlegenheit sind vorüber«, antwortete ich ihr. »Bis zur Abenddämmerung muss die Hälfte von uns bereit sein, sich versklaven zu lassen. Die Hälfte unserer Felder wird niedergebrannt. Wadia kann aus Ashdod zurückkehren und wieder herrschen, doch unter dem Auge der Hochländer, die alle Felder zwischen hier und Lakshish besetzen werden.« Sie setzte sich im Schneidersitz vor mich hin.
»Was wird aus dir?«
Meine Hände zitterten. »Ich werde zur Sklavin.«
Tränen traten in Tameras Augen, darum schickte ich sie weg.
Sobald sie verschwunden war, legte Cheftu seine Hand auf meine Schulter. »Ich werde mich mit dir versklaven lassen«, sagte er.
»Das kann ich nicht von dir verlangen«, widersprach ich. »Du solltest hier bleiben und Wadia beim Regieren helfen.«
»Lo. Dies ist nicht meine Zeit. Dieser Junge Wadia liebt dich, nicht deinen Sklaven. Ich habe gelobt, bei dir zu bleiben. Außerdem endet bei den Juden die Sklaverei nach sieben Jahren.«
»Willst du mir damit Mut machen?«, platzte es aus mir heraus.
»Wir werden nicht einmal ein Jahr lang hier bleiben«, sagte er. »Dann öffnet sich das Portal, und wir sind frei.«
»Ich weiß nicht, wo hier ein Portal sein soll. Ich bin im Wasser gelandet.« Seine Hände bohrten sich kurz in meine Schultern, entspannten sich jedoch gleich wieder. »Ich werde mit dir zusammen sein. Dafür können wir Gott dankbar sein.«
»Ist für dich unsere Ehe nicht Sklaverei genug?«
Mein Witz stieß auf taube Ohren. Ich konnte es ihm nicht verübeln; er war nicht komisch.
In der Abenddämmerung öffneten wir die Stadttore.
Das Jammern und Klagen brannte sich wie Peitschenhiebe in mein Gewissen. Hätte ich noch mehr
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