Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho
Zweifel, dass Yoav, falls ich auch nur eine Sekunde in Bedrängnis geriet, mit dem Leben bezahlen würde. Es war ein gutes Gefühl, denn die beiden schüchterten mich tatsächlich ein. Der Wind wehte um uns herum, und wir starrten einander an. Gelegentlich lächelte ich sie an, weil die Situation immer grotesker wurde.
Yoav wandte als Erster den Blick ab. Ha! Eins zu null für die Braut im Fischkostüm!
Der andere, der mir immer noch nicht vorgestellt worden war, erwiderte mein Lächeln. Er wirkte auf mich wie ein überzüchteter Jagdhund. Mager und spitz. Und irgendwie waren mir seine Gesichtszüge und die Form seiner Schultern vertraut. Kannte ich ihn irgendwoher? Die ganze Zeit hatte er seine Finger im Bart, und die Schläfenlocken reichten ihm weit über die Ohren bis auf die Brust. Schweiß rann über meinen Rücken. Wir befanden uns wohl im März, tippte ich. Und schon war es heiß. Endlich beugte sich Yoav vor. »Die Pelesti sind geschlagen«, sagte er. »Euer Gott ist schwach, ihr habt keine Soldaten mehr, ihr seid keine Bedrohung mehr für uns.«
»Dann zieht eurer Wege und lasst uns in Frieden«, antwortete ich. »Ihr habt gesiegt.«
Er blinzelte. Wahrscheinlich war eine Kapitulation hier nicht üblich. Nach einem kurzen Blick auf den Mann in Weiß ergriff er wieder das Wort. »Das kann ich nicht. Es ist Herim; darum ist alles, was Odem hat, Hal.«
»War es deine Entscheidung oder die deines Königs, gegen Ashqelon zu ziehen?«
»Meine.«
»Also bist auf diesem Schlachtfeld du der König?«
Seine Augen wurden schmal. Seine Antwort kam langsam.
»Ken.«
»Gezer wurde zerstört, nicht wahr?«
»Ken. Dem Erdboden gleichgemacht. Es war Hal.«
»Welche Städte meines Volkes sind erhalten geblieben?«
»Lakshish, Qisilee, Yaffo, Ashdod und Ashqelon.«
»Wie viele Männer im kampffähigen Alter sind deiner Schätzung nach noch am Leben?«
Er zupfte an seiner Schläfenlocke, während er über die Ant-wort nachsann. »Die Männer aus Lakshish und Ashdod haben unter dem Seren Yamir gedient, nachon?«
Das Lexikon kam mir mit einem Spickzettel zu Hilfe. Na-chon konnte alles Mögliche bedeuten, von »genau« über »richtig?« bis zu »Bingo!«. Ich nahm an, dass er es in der mittleren Bedeutung gebraucht hatte. Ich nickte. »Yaffo und Qisilee sind vor allem Hafenstädte«, sagte ich. »Von dort aus importieren wir ebenjene Luxuswaren, die dein König und dein Volk begehren.« Jetzt beugte ich mich vor. »Ihr seid Hochländer. Ihr seid Bauern, Familienväter und Ehemänner mit Feldern, Vieh und Weinbergen.«
Er lehnte sich zurück; kein gutes Zeichen. »B’seder.«
»Ohne uns werdet ihr auf die fein gefärbten Kleider verzichten müssen, die du gerade trägst.« Ich deutete auf die rote Tunika, die er unter seinem Panzer angezogen hatte. »Ohne uns werden eure Tempel und vornehmen Häuser stinken, denn ihr werdet keine Myrrhe, keinen Weihrauch und keine Gewürze mehr bekommen. Diese Dinge bringen wir aus fremden Ländern mit.«
Sein Blick blieb vollkommen undurchsichtig. Wie grünes Strandglas.
»Vor allem«, jetzt lehnte auch ich mich zurück, »haben wir Eisen.«
»Wir werden euch vom Angesicht der Erde tilgen, dann brauchen wir auch kein Eisen mehr.«
»Irgendwann wird Pharao aus seinem Schlaf erwachen«, wandte ich ein. »Die Menschen im Norden, in Tsor und Tsi-don, werden begehrliche Blicke auf euch werfen. Unseren Verwandten von jenseits haYam wird es nach euren Feldern gelüsten. Und alle haben Eisen.
Mit ihren seetüchtigen Schiffen, die an euren Ufern landen werden - denn wenn ihr uns >vom Angesicht der Erde tilgte, dann werden es eure Ufer sein -, ihren Streitwagen, die bis in die Hügel eures Königreichs vordringen können, und ihrem nie versiegenden Nachschub an Männern, Proviant und Pferden -denn sie alle kommen aus großen Nationen, nicht aus einem unbedeutenden Königreich, dessen Berggott für sie kämpft -werden sie mit einer Hand eure Bronzeschwerter zersplittern, während sie mit der anderen euer Land, eure Frauen und eure Totems rauben.
Wir sind euer Schutzwall, wir schützen euch vor Plünderern, die nach Osten vordringen wollen. Wir sind euer Schutzpanzer, und wir treiben Handel für euch. Wir betreiben eure Häfen in Ashqelon, Yaffo und Qisilee; wir schmieden eure Waffen in Lakshish, Ashqelon und Ashdod. Ihr habt weder die Kenntnisse noch die Menschen, uns zu ersetzen.«
Der Mann in Weiß sprang auf. »Sie beleidigt uns!«, brüllte er. »Sie führt uns ihren Gott vor
Weitere Kostenlose Bücher