Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho
zurück. Zum Glück hatte ich zuvor meine Blase geleert. Er reichte mir ein Blatt. »Wermut«, sagte er. Ich nahm es entgegen und kaute wild drauflos. Dann spürte ich, wie oberhalb des Läppchens ein Holzblock gegen den Knorpel in meiner Ohrmuschel gedrückt wurde.
Das Pieken der Ahle.
»Atme aus dem Bauch«, sagte er und schlug die Ahle durch mein Ohr.
Der Schmerz kam schlagartig und raubte mir die Sinne. Noch während ich benommen und kurz vor dem Erbrechen zusammensackte, nahm er sich das andere Ohr vor. Der Blockhalter und Yoav traten zurück und riefen den Pelesti zu: »So wie ich eure Göttin versklavt habe, ist auch das Volk des Meeres versklavt. Wir haben euch zwar am Leben gelassen, doch dafür werdet ihr den Stämmen dienen!«
Die beiden Männer halfen mir auf und drehten mich in Richtung Stadt. Ich spürte das Zerren der blutigen Haut, als die Kette eingefädelt wurde. Sie zog an meinen Ohren; mir fehlten die Worte dafür, wie es sich anfühlte. Mein Kopf war leicht, und ich fürchtete, mich gleich übergeben zu müssen. Als ich aufsah und dabei die Kette in meinem Haar und das Gewicht an meinen empfindlichen Ohren spürte, knieten die Menschen vor mir, die überlebenden Pelesti, nieder. Ich konnte kein einziges Gesicht erkennen; so weit konnte ich nicht sehen.
Von den Mauern der Stadt her hörte ich: »Gesegnet sei haDerkato, denn sie hat sich für Ashqelon hingegeben.« Die Hochländer brachen auf in Richtung Stadt, um dort die noch lebenden, die wenigen noch lebenden Männer umzubringen.
Die stolzen Rufe verwandelten sich in ängstliche Schreie. Plötzlich schien die an meinen Ohren zerrende Kette keine Bedeutung mehr zu haben. Vielleicht hatte ich dadurch ja ein paar Leben gerettet?
Cheftu half mir behutsam auf und lockerte den Zug des Metalls.
Er schob mir etwas in den Mund, noch ein Blatt. »Kau und schlafe«, sagte er. »Das wird dir gut tun.«
Ich bekam nur noch mit, dass sich die Angstschreie in Wehklagen über einen unersetzlichen Verlust verwandelt hatten. Und dieses Wehklagen folgte mir in den Schlaf.
»Das bedeutet, dass ich nicht mehr an deiner Seite sein werde?« RaEm richtete den Blick durch das Dunkel der Nacht auf Echnaton.
Seine Hand fand ihren Schenkel, strich über ihre Haut und beruhigte ihr Ka. »Es ist nur ein kurzer Besuch, nur um klarzustellen, dass die Herrschaft des Aton nicht enden wird. Außerdem müsst ihr eine Brautreise unternehmen.«
Seufzend rückte RaEm die Stütze unter ihrem Kopf gerade und ließ ihren Körper von der warmen Brise, kühlen. »Deine Tochter ist die reine Freude, doch ein ganzer Monat mit ihr raubt mir den Verstand.«
Er lachte und küsste sie auf die Stelle, wo eben noch seine Hände gewesen waren. »Sie liebt dich von Herzen, Semenchkare; sie würde alles tun, um dir zu gefallen.«
Das wusste RaEm bereits. Seit ihrer Heirat mit dem Mädchen hatte sie praktisch keinen ruhigen Augenblick mehr gehabt. Meritaton liebte sie rasend, ständig wollte sie RaEm berühren, küssen, bei ihr sein. RaEm setzte sich auf und stützte den Kopf in die Hände. »Ich muss ihr ein Kind machen.«
»Aii, ich kenne keinen Priester, der einen so großen Zauber vollbringen könnte«, meinte Echnaton. »Außerdem lasse ich nicht zu, dass sie mit einem anderen als einem königlichen
Werkzeug gepflügt wird.« Sein Tonfall machte klar, dass er keinen Widerspruch duldete.
Aber sie treibt mich noch zum Wahnsinn, wenn sie nicht bald schwanger wird, dachte RaEm. Derart in die Zange genommen von Tiye, die zwar misstrauisch war, aber allmählich erblindete, und Meritaton, die zwar blind, aber bezaubernd war, bezahlte RaEm einen zu hohen Preis für zu wenig Macht. »Deine Mutter -«
»Die auch deine ist -«
»Ja, schon gut, also, sie möchte in Waset einen Tempel errichten lassen.«
Echnaton stand von der Liege auf. »Ich will nichts davon hören«, sagte er fest. »Ich schulde ihr Respekt dafür, dass sie mich geboren hat, doch sie hat trotzdem das Herz einer ... einer Ungläubigen.«
»Der Tempel bedeutet mir nichts.« RaEm folgte ihm auf den Balkon unter dem Mond hinaus. »Ich will nur, dass Meritaton glücklich bleibt. Du, Meine Majestät, bist alles, was ich begehre.« Sie presste die Lippen zusammen, um nicht weiter zu betteln. »Bitte schick mich nicht fort, fort von deinem Feuer.« Sie küsste ihn auf die Schulter. »Sonst müsste ich erfrieren.«
Augenblicklich war Echnaton über ihr und in ihr. »Du willst Hitze, du willst brennen?«
»Ja, Meine .
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