Franley, Mark
Augenblick begann der Film loszulaufen. Die Bilder waren immer noch schlimm, doch sie hatten ihre Bedrohung verloren.
Als der Mann sie und ihren Bruder damals durch die Haustür hinausgeschoben hatte, drehte sie sich noch einmal zu ihrem Vater um, in dessen Blick grenzenlose Verzweiflung stand. Die kleine Karla nahm all ihren Mut zusammen, blieb stehen und sagte bockig: »Ich will nicht gehen, ich will bei meinen Eltern bleiben!«
Der Mann mit dem seltsamen Akzent schob sie völlig unbeeindruckt ein Stück weiter, schloss die Haustür hinter ihnen und sagte: »Möchtest du wirklich, dass das Pferd stirbt? Denn wenn wir es jetzt nicht versorgen, wird es der Stallbesitzer dem Pferdemetzger geben und das wäre dann alleine deine Schuld!«
Karla rührte sich immer noch nicht, hielt ihren Blick starr auf den Boden gerichtet und sagte: »Dieses Pferd gibt es doch gar nicht!«
»Und was ist dann das?« Der Mann hatte ein Foto aus seiner Brieftasche gezogen und hielt es ihr unter die Nase. Es zeigte das schönste Pferd, das Karla je gesehen hatte, und sie bildete sich ein, dass im Blick des Pferdes die Bitte nach Futter lag. Nachdem sie einige Sekunden mit sich gerungen hatte, sagte sie, immer noch mit verstocktem Tonfall: »Aber wir fahren hin, füttern es und dann bringen sie uns gleich wieder hierher!«
»Ist der Reitstall in der Stadt?«, erkundigte sich Andreas, der sich wunderte, dass sie nicht aufs Land rausfuhren. Doch entweder hatte der Mann ihn nicht gehört oder er wollte einfach nicht antworten. Auch Karla beobachtete die Umgebung draußen und erkannte einige Gebäude von früheren Einkaufsfahrten in die Innenstadt von Nürnberg wieder. Aggressiv wiederholte sie die Frage ihres Bruders, doch auch sie erzeugte keinerlei Reaktion. An der nächsten roten Ampel stieß sie ihren Bruder an, griff zum Türöffner und sagte entschieden: »Dann steigen wir jetzt eben aus!«
Dieses Mal drehte sich der Mann um, doch nur, um sie mitleidig anzulächeln. Karla zog wütend an dem Öffner, der sich zwar bewegen ließ, aber keinerlei Wirkung auf die Tür hatte.
»Kindersicherung!« war das einzige Wort, das der Mann während der gesamten Fahrt sagte. Fünf Minuten später bog er in eine schmale Einfahrt ein und stellte das Auto in einem schmutzigen, grauen Hinterhof ab.
»Wenn wir draußen sind, laufen wir!«, raunte Karla ihrem Bruder zu. Dann wurde zuerst ihre Tür geöffnet und noch bevor sie überhaupt an Flucht denken konnte, schloss sich die große Hand des Mannes um ihr Handgelenk. Trotz ihres Widerstandes wurde sie auf die andere Seite des Autos gezogen, wo ihrem Bruder das gleiche Schicksal blühte.
Da er beide Hände für die Kinder brauchte, gab der Mann der Autotür einen Tritt mit dem Fuß, sodass diese krachend ins Schloss fiel. Anschließend wurden sie über den Hof zu einer Tür, auf der »Lieferanteneingang« stand, gezogen, die nach weiteren zwei Fußtritten von innen geöffnet wurde.
Auf den ersten Blick sah die dicke Frau ganz nett aus und in Karla keimte Hoffnung auf, dass das, was er mit ihnen vorhatte, doch nicht so schlimm werden würde. Doch neugierig nahm die Frau Karlas Gesicht in ihre nach Parfüm riechende Hand und bog ihren Kopf so, als würde sie ein Tier begutachten. Als die Musterung abgeschlossen war, folgte Andreas, den Karla noch nie so eingeschüchtert erlebt hatte. Schließlich blickte die Frau den Mann an und sagte: »Gute Ware, Michail, du hast nicht zu viel versprochen!«
»Sagte ich doch. Nur ein bisschen zickig«, antwortete Michail und zog etwas an Karlas Arm. Die Frau winkte ab und stellte gut gelaunt fest: »Kein Problem, unsere Gäste wissen damit umzugehen.« Anschließend drehte sie sich um und ging voraus.
Sie durchquerten erst die kleine Küche, dann einen Raum, der wie eine normale Bar aussah, aber leer war, und kamen schließlich in ein Hinterzimmer, das fast schon kitschig eingerichtet war. Dort blieb die Frau stehen, sah auf die Uhr und meinte: »Bringst du sie schon hoch? Es ist besser, ich begrüße unsere Gäste.« Mit diesen Worten zog sie sich ihr Oberteil vorne so weit nach unten, dass ihre fleischigen Brüste kaum noch bedeckt waren. Über Michails Gesicht huschte ein Lächeln, als er fragte: »Klar, welche Zimmer?«
»Das Mädchen in die Eins, den Jungen in die Fünf.«
»Wir gehen in überhaupt kein Zimmer!«, wagte sich Karla vor, die von der Situation völlig überrumpelt worden war, und ihr Bruder stimmte ein: »Karla hat Recht! Wir wollen jetzt nachhause!«
Der
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