Franley, Mark
jemand hören könnte, eilten sie durch die Gänge und unterhielten sich über den Fall. Schon fast wieder in der Cafeteria angekommen, bemerkte Natalie, dass ihnen eine ältere Krankenschwester gefolgt war. Ohne Mike einen Hinweis zu geben, blieb sie stehen, drehte sich um und fragte barsch: »Haben Sie den gleichen Weg wie wir, oder belauschen Sie uns?«
Zuerst wusste die Krankenschwester nicht, was sie sagen sollte, dann nahm sie sich ein Herz und antwortete: »Haben Sie kurz Zeit?«
Natalie war zwar überrascht, sagte aber: »Ja sicher, worum geht es?«
Die Schwester sah sich um, und obwohl niemand in der Nähe war, deutete sie auf eine Tür mit der Aufschrift Verbrauchsmaterial und sagte: »Da drin wäre mir lieber.«
Natalie zuckte mit den Schultern und folgte ihr zusammen mit Mike in den Aufbewahrungsraum für Toilettenpapier, Handtücher und diverse Putzutensilien.
Die Schwester warf noch einen Blick in den Flur und schloss dann die Tür von innen. Ohne dass die Kommissare nachfragen mussten, sah sie Natalie an und begann zu erzählen: »Ich habe mitbekommen, dass Sie meine Kolleginnen bezüglich der Organtransplantationen befragt haben.«
»Das ist richtig. Es gibt einige Hinweise, dass hier möglicherweise nicht alles korrekt läuft«, antwortete Natalie vorsichtig.
»Es sind zu viele«, sagte die Frau ansatzlos.
»Das heißt?«, mischte sich nun Mike ein.
»Es sind zu viele Transplantationen!«, wiederholte die Frau und erklärte: »Ich habe vorher in einer anderen großen Klinik gearbeitet und bin erst seit einigen Wochen hier. Da wo ich herkomme, hatten wir nur halb so viele Transplantationen, was aber nicht an einem Mangel von wartenden Empfängern lag, sondern daran, dass einfach keine Organe zu bekommen waren. Hier scheint es dagegen nur eine Frage des Geldes zu sein, und schon hat man das passende Organ parat.«
»Und warum erzählen Sie uns das?«, fragte Mike misstrauisch. »Sie verdienen doch sicher gut hier.«
»Ich verdiente gut hier«, berichtigte ihn die Schwester und fügte hinzu: »Ich habe Dr. Ravenstein auf die Organgeschichte angesprochen, da wir laut unserem Arbeitsvertrag dazu verpflichtet sind, ungewöhnliche oder gar illegale Vorkommnisse zu melden. Doch das Resultat war, dass ich eine Woche später die Kündigung in der Hand hielt und man mich für die restliche Zeit nur noch außerhalb des OPs einsetzt.«
Die Antwort war für die Kommissare nachvollziehbar, daher fragte Mike: »Aber wenn es so ist, wie Sie sagen, müsste das doch jemand bemerken. Spätestens bei den Krankenkassen müssten die Alarmglocken schrillen.«
Nun sah die Schwester Mike fast schon mitleidig an. »Krankenkassen? Was glauben Sie, wie viel hier über eine Krankenkasse abgerechnet wird? Wir haben siebzig Prozent Privatpatienten und viele von denen haben gar keine Versicherung, die zahlen so etwas aus der Portokasse.«
Nickend nahm Mike das Gesagte zur Kenntnis und sagte dann: »Wir hatten sowieso vor, die Klinik überprüfen zu lassen, aber Ihre Aussage verfestigt unseren Verdacht. Würden Sie gegebenenfalls eine offizielle Aussage machen?«
Die Frau rang einen Augenblick mit sich: »Würde ich, aber erst wenn mein Vertrag ausgelaufen ist. Ich habe es hier schon schwer genug.« Nach einer kurzen Pause fragte sie: »Sagen Sie, stimmt es, was man so im Fernseher sieht ... über den Handel mit Organen aus den armen Ländern, meine ich?«
Bei beiden Kommissaren blitzte das Bild des Ofens mit der Leiche des Mädchens auf. Etwas betreten antwortete Natalie: »Ich fürchte, diese Reportagen übertreiben nicht.«
Jetzt schien die Schwester fast erleichtert zu sein und kaum hörbar sagte sie: »Dann habe ich gerade das Richtige getan!«
»Und, glaubst du immer noch, dass es so weit hergeholt wäre, wenn auch der Sohn des Staatsanwaltes von dieser Beschaffungspraxis profitiert hätte?« fragte Natalie, als der Aufzug in der Tiefgarage hielt und sie in Richtung ihrer Fahrzeuge gingen.
Mike blieb kurz stehen, sah seine Partnerin an und schüttelte den Kopf: »Ich befürchte nein. Aber ich hoffe, du weißt, was auf uns zukommt, wenn wir diesen Verdacht laut äußern.«
»Und deswegen schauen wir weg?«, protestierte Natalie empört, doch Mike schüttelte noch einmal den Kopf und seufzte: »Nein, das tun wir nicht. Wir reden nachher mit Karl.«
Als sie Mikes Auto erreicht hatten, warf dieser einen Blick auf die Uhr. »Das mit Erlangen lassen wir für heute, da kann ich zur Not auch anrufen. Wir haben nachher noch eine
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