Franley, Mark
zuletzt der Alkohol zeigte sie ihm jetzt nicht mehr als Kommissarin, sondern als eine Frau im besten Alter.
Mike hatte sich wirklich Hoffnungen gemacht, doch Natalie schüttelte den Kopf und sagte: »Ich mag dich wirklich, Mike, aber lass uns noch ein bisschen warten.« Dann stand sie auf, strich ihm mit einem seltsamen Gesichtsausdruck über die Wange und ging.
Mikes Gedanken waren zu träge, und bis er sich entschlossen hatte, ihr zu folgen, war sie draußen nicht mehr zu sehen. Er bestellte noch einen letzten Whisky und machte sich anschließend auf den Nachhauseweg, wobei er immer das Gefühl hatte, verfolgt zu werden.
–36–
Karla hatte es nicht mehr unter Kontrolle und das Seltsame daran war, dass sie bewusst mitbekam, wie die Grenzen verschwammen. Es war, als würden den ganzen Tag drei Filme gleichzeitig auf nur einer einzigen Leinwand laufen.
Mitten in der Arbeit, dem wahren Leben, zogen die Bilder aus ihrer Kindheit vorbei und sorgten dafür, dass die große Karla wieder ins Spiel kam. In diesen Augenblicken wirkte ihr eigentlich vertrautes Umfeld plötzlich surreal und manchmal wusste sie nicht einmal mehr, wo sie gerade war und was sie da sollte. Doch irgendwie schaffte sie es immer, sich wieder in die Realität zurückzuholen, bevor man etwas merkte, denn die große Karla wusste, dass sie es nur zu Ende bringen konnte, wenn sie unentdeckt blieb.
Erst wenn sie, wie jetzt, alleine war, konnte sie ihren Gedanken gestatten, sich auszusuchen, wer sie gerade sein wollte, und inzwischen genoss sie diesen Umstand sogar.
Ein flüchtiger Blick zum Wecker zeigte ihr, dass es erst drei Uhr morgens war und sie noch eine ganze Weile liegen bleiben konnte. Durch das gekippte Fenster drangen nur wenige Geräusche der nächtlichen Stadt in ihr Zimmer, doch gerade diese Geräusche hatten ihr damals in dem Zimmer mit dem Bett gefehlt. Zuerst hatte sie in ihrer kindlichen Einfalt gedacht, man hätte das Zimmer so gut isoliert, damit man drinnen seine Ruhe hatte. Dann kamen die Männer und noch während ihres ersten Schmerzensschreis war ihr klar geworden, dass sie draußen niemand hören sollte. Nach dem ersten, dem dicken Mann, der sich Sebastian nannte, fühlte sich Karla körperlich wie seelisch zerrissen, klammerte sich aber an die Hoffnung, dass es nun vorbei war. Und vielleicht hätte sie dieses Erlebnis auch irgendwie verarbeiten können, wenn man sie zurück zu ihren Eltern gelassen hätte. Wie hätte sie auch ahnen können, dass es gerade einmal der Anfang von allem war?!
Dieser Sebastian hatte sich in sie entleert, war aufgestanden und ohne ein weiteres Wort gegangen. Sie dagegen war unfähig gewesen sich zu bewegen und einfach so liegen geblieben, wie er sie platziert hatte. Zu keinem Gedanken und keiner Träne fähig, lag sie da und fragte sich, was sie falsch gemacht hatte, dass man sie so bestrafte. Es kam ihr unendlich lange vor, bis sich erneut der Schlüssel im Schloss drehte und die zu stark geschminkte Frau eintrat. Jetzt bringt man mich nachhause , dachte Karla und folgte der Frau widerstandslos aus dem Zimmer in den Flur hinaus. Vor der Tür, hinter der sie ihren Bruder vermutete, lauschte Karla angestrengt, konnte aber kein Geräusch vernehmen. An der letzten Tür angekommen, blieb die Frau stehen und deutete Karla hineinzugehen.
Das Badezimmer war klein, aber sauber und es herrschte wesentlich mehr Licht, als in dem anderen Raum. Die Frau folgte Karla, schloss die Tür von innen ab und begann sie von oben bis unten zu mustern. Anschließend stellte sie mit gleichgültiger Stimme fest: »Gut! Ich brauche ihm keine Extrakosten berechnen, mit dir können wir noch etwas anfangen!« Dann wurde Karla unter die Dusche gestellt und da sie selbst keine Anstalten machte, wusch ihr die Frau den Intimbereich sauber. Nach dem Duschen folgte etwas Parfüm und Make-up für die blauen Flecken an den Handgelenken. Die Frau trat einen Schritt zurück, betrachtete zufrieden ihr Werk und sagte ironisch: »Jetzt bist du wieder fast wie neu, und wenn du am Anfang genug schreist, glauben diese Tölpel bestimmt, auf einer Jungfrau zu liegen.«
Erst jetzt begriff Karla, dass sie nicht nachhause durfte, schaffte es aber, weder einen Laut von sich zu geben noch sich zu wehren. Noch immer hallten die Worte dieses Mannes durch den Kopf, der ihr gedroht hatte, sie umzubringen, wenn sie sich widersetzte.
Fünf Minuten später fand sie sich wieder in dem Zimmer wieder, wo das Bett frisch bezogen worden war und eine
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