Franny Parker
»Ich warte draußen auf dich.«
»O-oh!«, sagte Pearl und sah interessiert zu, wir mir die Röte ins Gesicht stieg. »Du magst ihn.«
»Gar nicht!«, zischte ich. Pearl wusste ja nicht, wovon sie da redete.
Ich sah, wie sich Mr Harland der Kasse von Lucas näherte und auf seine Uhr deutete. »Mittagspause!«, sagte er.
»Los, schnell«, sagte ich zu Pearl. Ich bekam mit, wie sich Lucas den Harland-Kittel über den Kopf zog und ihn über die Schulter warf. Er schloss seine Kasse ab und kam auf unseren Gang zu.
»Pearl!«, flehte ich.
Sie musterte mich von oben bis unten, was mir wie eine Ewigkeit vorkam. »Na gut. Gehen wir.« Sie warf den Eislolli in die Kühltruhe zurück. So wie mich Pearl manchmal damit überrascht, dass sie meine Geheimnisse errät, so überraschte sie mich auch mit diesen Freundlichkeiten. Kleine, aber entscheidende Freundlichkeiten.Wir rannten mit gesenkten Köpfen den Gang entlang, wurden jedoch von einem durchdringenden Schrei aufgehalten.
»Eine Ratte!«, heulte eine Frau auf. »In der Milchabteilung ist eine Ratte!«
Instinktiv griff ich nach meiner Tasche. Leer. Wir fuhren gleichzeitig herum. Vor unseren Augen entspann sich eine Zeitlupenszene. Eine füllige grauhaarige Frau schwenkte mit einer Hand ihre Tasche, mit der anderen bedeckte sie die Augen, während Jeremy Jenkins, einer der Lagerangestellten, um sie herumrannte und auf den Boden einschlug.
»Halt!«, rief ich aus. »Das ist keine Ratte!«
Aber sie schienen das nicht zu hören. Stattdessen kreischte und wedelte die Frau weiter, bis sie so außer sich war, dass sie auf einem Butterfass zusammensank. Jeremy jagte weiter hinter dem grauen Schatten auf dem Boden her, der im Zickzack den Gang entlangsauste, während Kunden auseinanderstoben und Milchtüten zu Boden purzelten. Schließlich ließ sich Jeremy auf die Knie fallen und schlug mit der Hand zu. Mir drehte sich der Magen um.
»Tu ihm nicht weh!«, brüllte ich und rannte auf ihn zu. Langsam streckte er einen Finger seiner hohlen Hand aus. Ein behaartes Schnäuzchen guckte heraus.
»Na warte, wenn das Mr Harland sieht!«, schimpfte er.
»Bitte nicht!«, flehte ich ihn an und bog seine Finger einen nach dem anderen auf, um die Maus zu befreien. »Er heißt Winzling.«
Jeremy schüttelte sein dunkles Haar und stemmte die Hände auf die Knie. »Wir haben hinten drin Fallen aufgestellt für die Dinger.«
Ich nahm Winzling an mich und untersuchte ihn schnell. Alles in Ordnung. Ich sah mich nach der grauhaarigen Frau um, die sich jetzt Butter vom Hintern wischte. »Es tut mir leid, Ma’am, wirklich.« Sie erwiderte nichts.
Dafür hörte ich eine andere Stimme.
»Was ist denn hier los?«
Ich fuhr herum und stand vor Lucas.
»Wir sind schon weg«, sagte Pearl und nahm mich beim Ellbogen.
»Mit ihrer Ratte«, entfuhr es Jeremy.
»Eine Ratte?« Lucas zog die Augenbrauen hoch.
»Maus!«, sagte Pearl. »Eine verwaiste Maus!«
Lucas sah sich die umgekippten Schachteln und Kisten an und die Frau, die immer noch versuchte, sich zu säubern. Er bemühte sich, ein Grinsen zu unterdrücken. »Hört mal, haut lieber ganz schnell ab«, sagte er. »Ehe Harland aufkreuzt.«
»Wir müssen es ihm sagen«, meinte Jeremy und deutete auf das Durcheinander. »Ich räum hier nicht auf!«
Lucas drehte sich nach ihm um. »Sollen wir ihmauch gleich von den gemopsten Schokoriegeln erzählen, die du hinten immer in dich reinstopfst?«, fragte er und steckte ihm einen Besen zu.
Jeremy wandte den Blick ab.
»Los, Franny. Bring dein Waisenkind nach Hause.«
Ich schenkte ihm mein breitestes Lächeln und wir machten uns eiligst auf den Weg. Wir waren schon fast an der Tür, als wir auf Mr Harland höchstpersönlich stießen. Er war nicht erfreut.
»Das ist doch hier keine Rennbahn. Ihr stoßt ja mit meinen Kunden zusammen!« Er verschränkte die Arme.
Ich nickte heftig und hielt die Tasche meiner Bluse zu. Dann sah ich mich um. Das Chaos, das wir gerade zurückgelassen hatten! Pearl wurde krebsrot.
»Es tut uns sehr leid, Sir. Wir sollten Ihnen vielleicht etwas sagen …«
»Ach, da sind Sie ja, Sir.« Lucas stand plötzlich hinter uns. »Mr Harland, die Mädchen hier brauchen
Ihre fachmännische
Meinung.«
Mr Harland blinzelte verwirrt. »Ach ja?« Mr Harland war ein Mann mit eingefleischten Meinungen, aber es kam nicht tagtäglich vor, dass man sie als
fachmännisch
bezeichnete. Er richtete sich fachmännisch auf und löste die fachmännischen Arme aus der Verschränkung.
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