Franny Parker
schön sein will, muss leiden«, sagte Sidda. Sie sah mich an. »Dort siehst du allerdings jemand, der noch keinen Tag im Leben gelitten hat.«
Ich überhörte die Bemerkung. Ich war zu sehr damit beschäftigt, den Inhalt der Tierkasse zu zählen. Zweiundvierzig Dollar und siebzehn Cent waren in der Kaffeedose!
»Bereit für den Jahrmarkt?«, fragte ich. Ich glaube, Pearl nickte, aber das war nicht so einfach zu erkennen. Sidda zerrte ihren Kopf rauf und runter mit ihren ganzen Bürsten.
***
Eine halbe Stunde später, nachdem Pearls rotes Haar fest mit Schleifen gebändigt war, steuerte Mrs Jones ihr Auto im Affentempo auf ihrem »Schleichweg«, wie sie es nannte, über die Straßen zum Jahrmarkt. DerJahrmarkt in Grafton war für jedes Kind in der Stadt der Höhepunkt des Sommers. In der vierten Juliwoche rollten Schlangen von Transportern über die Hauptstraße in den Stadtpark. Sie beförderten Karusselle und dergleichen, Spielbuden und andere Attraktionen dorthin. Es war das einzige Wochenende im Jahr, an dem alle Jugendlichen das Abendessen sausen ließen, um sich in die Schlangen einzureihen, das einzige, an dem es mit der Zubettgehzeit nicht so genau genommen wurde und an dem man bei jedem Ticket genau überlegte, ob man eine Zuckerwatte oder doch lieber noch eine Fahrt mit der Achterbahn wählen sollte.
Pearl und ich sprangen aus dem Auto, noch ehe Mrs Jones richtig vor dem Eingangstor angehalten hatte.
»Hör mal, Pearl, du kannst Karussell fahren und Riesenrad. Aber keine fliegenden Untertassen, keine Wasserrutsche und auf keinen Fall Autoscooter.« Wir starrten Mrs Jones an. Das aus dem Mund einer der gefährlichsten Fahrerinnen der Stadt!
»Und rede nicht mit Fremden – die könnten dich kidnappen. Und kein Junkfood – sonst musst du noch kotzen. Um neun bist du an dem Gartenstand. Zu Hause warten noch Bücher, die gelesen werden wollen.« Mrs Jones wandte sich jetzt an mich. »Hat dir Pearl gesagt, dass sie schon beim zwölften Buch ist? Das wird vielleicht doch noch unser Sommer!« Sie schlug ihre pummeligen Hände zusammen und hintenauf dem Rücksitz klatschte Baby Mable ebenfalls in die Händchen. »Wuff!«, bellte sie. Dann zischte das Auto ab.
»Also, was fahren wir?«, fragte ich. »Karussell oder Riesenrad?«
Pearl rückte Siddas rosa Schleife in ihrem Haar zurecht und marschierte los. »Autoscooter natürlich.«
Froschhüpfen
N a sieh mal einer an, wen das Riesenrad da ausgespuckt hat!« Izzy reichte uns je einen Schokokeks in einer blau-weiß-roten Papierserviette. Die Damen betreuten Grandma Raes Kuchenstand, der berühmt war für seine hausgemachten Tartes und seine Spenden an die Kirche.
»Kommt ihr mit zum Froschhüpfen?«, fragte ich sie.
Ben hatte George und Martha zu dem Wettlaufen angemeldet. Dad versuchte ihm zu erklären, wie klein die Chance war, dass eine der Schildkröten beim Froschhüpfen schneller sei als die Frösche, doch Ben beharrte darauf, dass Reptilien und Amphibien praktisch artverwandt seien, und Mama hatte schließlich eingewilligt, sie auf die Teilnehmerliste zu setzen. Die Jury hatte sich mit einem amüsierten Lächeln einverstanden erklärt. Wer sollte schon etwas dagegen haben, wenn zwei langsame Schildkröten am Froschhüpf-Wettbewerb teilnahmen.
»Ben versucht, den Walker-Frosch zu schlagen«, erzählte ich. Die Damen schnappten nach Luft.
Die Familie Walker wohnte am größten Teich der Stadt und war bekannt dafür, jedes Jahr ungewöhnlichgroße und seltsam aussehende Frösche zum Jahrmarkt zu bringen. Genau genommen sahen die Walker-Buben selbst ein bisschen unförmig und seltsam aus.
»Lasst uns mitgehen!«, sagte Izzy.
»Wir werden unseren christlichen Kuchenstand nicht verlassen!«, erwiderte Grandma.
»Das wollen wir doch mal sehen«, sagte Izzy und hängte ein »Geschlossen«-Schild auf. »Auch Gott hat am siebten Tag geruht, Rae. Und womöglich hat er ihn sogar beim Froschhüpfen verbracht. Jetzt kommt schon.«
Grandma Rae ereiferte sich immer noch, doch Izzy zog die Markise vor die Bude und der Kuchenstand verschwand dahinter.
Pearl und ich führten die Damen über den grasbewachsenen Weg zwischen Spielbuden, überdimensionalen Preisen und Plüschtieren hindurch. Kinder waren beim Ringwerfen, beim Schießen mit Plastikgewehren und beim Ballwerfen. Ich suchte die Menge nach Lucas ab. Einmal hatte ich das Gefühl, dass jemand meinen Namen rief, aber wir wurden von der Menge weitergeschoben. Hinter den Buden mündete der Weg in die
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