Franz G. - Thriller (Wegners schwerste Fälle) (German Edition)
bestellt, weil ich langsam nicht mehr weiß,
wohin mit den Akten.«
»Was
hältst du davon, wenn ich dich zum Ausgleich auf ein Bier einlade?«, Wegner
hatte nur wenig Lust so früh nachhause zu fahren. Je näher die Niederkunft
seiner Vera rückte, desto verrückter wurden ihre Ideen. Er konnte nur hoffen,
dass es sich nach der Geburt wieder änderte. Nur ein paar Monate dieser Art
noch, und er wäre reif für eine geschlossene Anstalt.
»Wie
lange noch?«, erkundigte sich Hauser grinsend.
»Drei
Wochen ... vielleicht vier. Wobei Vera meint, dass es auch früher passieren
könnte.«
»Und du
willst jetzt mit mir in `ne Kneipe fliehen, richtig?«
»Am besten
eine, in der wir bis morgen zum Dienstbeginn hocken können?«
***
Wie
erschlagen saß Franz Gerber auf einer der unteren Stufen der Treppe und
betrachtete seine Arbeit. In diesem Moment roch es in erster Linie nach
scharfen Putzmitteln, Kaltreiniger und Essig. Wobei sich auch ein gewisser
süßlicher Unterton nicht leugnen ließ. Vermutlich hatte sich der vorherige
Gestank in jeder Tapete, jedem Vorhang und allen Teppichen so gründlich
eingenistet, dass nur eine Totalrenovierung für vollständige Abhilfe sorgen
könnte.
Immer
wieder flackerten Bilder vor seinem inneren Auge auf. Sein Leben hatte sich
grundlegend verändert. Waltraut, die noch bis vor wenigen Tagen wie ein dunkler
Schatten über seinem gesamten Dasein lag, war tot. Das Morden, und die daraus
resultierende Befriedigung, empfand er mittlerweile als völlig normal. Auch
wenn es zweifellos schwer nachvollziehbar war, aber richtig hart wollte sein
bestes Stück nur noch dann werden, wenn er einem der Jungen beim Sterben zusah.
Eine wirkliche Alternative wollte ihm nicht mal in den Sinn kommen.
Entschlossen
stand er nun auf und stapfte die Treppe empor. Eine heiße Dusche war genauso
notwendig, wie willkommen. Danach würde er Richtung Hauptbahnhof aufbrechen und
sich was Leckeres aussuchen. Schließlich wartete eine Kiste darauf, ihren neuen
Besucher zu empfangen.
***
Sven
war, nachdem er sich von Wegner getrennt hatte, zum Hauptbahnhof gelaufen, um
dort den letzten Stapel seiner Flugblätter zu verteilen. Für fünfzig Euro hatte
sich ein Mann breitschlagen lassen in seinem Copy-Shop über eintausend
Exemplare davon herzustellen. Die obere Hälfte des Flugblattes zeigte ein Foto
von Thomas, allerdings zu Lebzeiten. Darunter fand sich ein kurzer Text, eine
Art Fahndungsaufruf, den Sven selbst verfasst hatte.
Die
meisten der Passanten machten einen großen Bogen um den Jungen, weil sie
vermutlich befürchteten, dass es sich um etwas Unangenehmes handelte. Ein paar
jedoch blieben sogar stehen und erkundigten sich interessiert über das, was
geschehen war. In manchem Blick erkannte Sven Betroffenheit in anderen dagegen
nur blanke Neugier oder Sensationslust.
Für
weitere Flugblätter fehlte ihm ohnehin das Geld. Wenn auch diese letzte Aktion
zu keinem Ergebnis führte, musste er es zwangsläufig bei hartnäckigen Erkundigungen
im Milieu belassen. Aufgeben würde er nie – selbst wenn er bis an sein
Lebensende umherlaufen und die ganze Welt nerven müsste.
Jetzt
ging es bereits auf zehn. Sven saß auf einer Bank und beobachtete das bunte Treiben
in der Langen Reihe. Im Dunkeln wirkte alles deutlich sauberer und bei Weitem
nicht so bedrückend wie bei Tageslicht. Tiefe Falten im Gesicht eines
Siebzehnjährigen, schmutzige Klamotten und manch eine Träne wurden von der
Dunkelheit gütig überdeckt.
Er
wollte sich schon zur Alsterperle aufmachen, um dort sein Nachtlager zu
beziehen, als ihm erneut der große Mercedes auffiel. Wieder musterte ihn der
Fahrer im Vorüberfahren – hielt seinem Blick eisern stand und lächelte jetzt
zaghaft. Wie einem früheren, tief verwurzelten Reflex folgend, erwiderte Sven
nun sogar das Lächeln und ärgerte sich kurz darauf über sich selbst. Es gab
wohl ein paar Dinge, welche nur die Zeit nachhaltig löschen konnte. Er schaute
dem Wagen hinterher und sah, wie dieser ein Stück weiter wendete, um nun erneut
in seine Richtung zu kommen – dieses Mal jedoch auf seiner Straßenseite.
Der
Mercedes hielt am Bordstein und sofort fuhr das Seitenfenster sanft herab.
»Na,
mein Junge – wie sieht es aus? Hast du Lust mitzukommen?« Der Fahrer lächelte
noch immer, aber aus dieser Entfernung konnte Sven jetzt erkennen, dass es sich
bestenfalls um eine billige Maskerade handelte. Das Gesicht verzog sich und
manch einer dürfte es tatsächlich
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