Franzen, Jonathan
vorschlug, Jessica in der Stadt zum Abendessen einzuladen,
entgegnete Jessica, sie habe in der Nähe schon einen Tisch für drei reserviert.
In dem Restaurant hörte Patty dann stoisch zu, als William auf Jessicas Anregung
hin die wohltätige Organisation beschrieb, die er bereits als Schüler
gegründet hatte - irgendeinen grotesk verdienstvollen Verein, der es sich zur
Aufgabe gemacht hatte, die Ausbildung armer malawischer Mädchen durch
Fußballvereine in San Francisco subventionieren zu lassen. Patty blieb kaum
etwas anderes übrig, als immer mehr Wein zu trinken. Beim vierten Glas fand
sie, William müsse unbedingt erfahren, dass sie selbst einmal eine
hervorragende Collegesportlerin gewesen war. Da Jessica keine Anstalten machte,
die Information beizusteuern, dass sie es damals ins Team der zweitbesten
Spielerinnen ganz Amerikas geschafft hatte, musste sie diese Information selbst
beisteuern, und da das wiederum nach Angeberei klang, glaubte sie, die
Geschichte ihres Groupies dagegensetzen
zu müssen, was zu Elizas Drogensucht
und Leukämielüge und Pattys Kniedesaster
hinführte. Sie redete laut und, so dachte sie, unterhaltsam, aber anstatt zu
lachen, blickte William aus dem Augenwinkel immer wieder nervös zu Jessica hinüber,
die mit verschränkten Armen dasaß und mürrisch dreinschaute.
«Und
worauf wolltest du jetzt hinaus?», sagte sie schließlich.
«Auf
nichts Bestimmtes», sagte Patty. «Ich erzähle euch nur, wie es damals war, als
ich aufs College ging. Ich wusste ja nicht, dass euch das nicht interessiert.»
«Mich
interessiert es schon», war William immerhin freundlich genug zu sagen.
«Was ich
daran interessant finde», sagte Jessica, «ist, dass ich noch nie etwas davon
gehört habe.»
«Ich habe
dir nie von Eliza erzählt?»
«Nein. Das muss Joey gewesen sein.»
«Ich bin
sicher, dass ich mal davon gesprochen habe.»
«Nein, Mom. Tut mir leid. Das hast du nicht.»
«Na ja,
egal, jetzt habe ich ja davon erzählt, aber vielleicht reicht es nun auch.»
«Ja,
vielleicht!»
Patty
wusste, dass sie sich danebenbenahm, aber sie konnte nicht anders. Als sie sah,
wie liebevoll Jessica und William miteinander umgingen, dachte sie daran
zurück, wie sie selbst mit neunzehn gewesen war, dachte an ihr mittelmäßiges
Studium und ihre verkorksten Beziehungen zu Carter und Eliza und bereute ihr Leben
und tat sich leid. Sie verfiel in eine Depression, die sich am folgenden Tag,
als sie wieder zum College hinausfuhr und zusammen mit Dutzenden anderen Eltern
eine Führung über das prächtige Gelände, ein Mittagessen im Garten der Villa
des College-Präsidenten und ein Nachmittagskolloquium («Der Ausdruck der
eigenen Identität in einer multivalenten Welt») über sich ergehen ließ, jäh
verschlimmerte. Alle wirkten so glorios viel besser angepasst als sie. Die
Studenten, weil sie den Eindruck machten, als könnten sie jede Aufgabe mit
Freuden meistern, darunter bestimmt auch die, sich ohne Begleitung auf einem
Barhocker wohl zu fühlen, die anderen Eltern, weil sie so stolz auf ihre Kinder
schienen, so froh, dass sie mit ihnen befreundet waren, und das College, weil
es seinen Reichtum und seinen altruistischen Auftrag so selbstgewiss zur Schau
stellte. Patty war wirklich eine gute Mutter gewesen; es war ihr gelungen, ihre
Tochter auf ein Leben vorzubereiten, das glücklicher und einfacher sein würde
als ihr eigenes; aber schon die Körpersprache der anderen Familien machte ihr
klar, dass sie in den Belangen, auf die es am meisten ankam, ganz und gar keine
großartige Mutter gewesen war. Während die anderen Mütter und Töchter Schulter
an Schulter auf den gepflasterten Wegen entlangspazierten und lachten oder die
Köpfe über ihren Handys zusammensteckten, ging Jessica entweder auf dem Rasen
oder ein, zwei Schritte vor Patty. Die einzige Rolle, die sie Patty an diesem
Wochenende zugedachte, war die, von ihrem fabelhaften College beeindruckt zu
sein. Patty tat ihr Möglichstes, diese Rolle auszufüllen, aber schließlich, in
einem Anfall von Depression, setzte sie sich auf einen der Adirondack-Stühle,
die über die zentrale Rasenfläche verteilt waren, und flehte Jessica an, am
Abend ohne William, der an diesem Nachmittag dankenswerterweise ein Spiel
gehabt hatte, in der Stadt mit ihr essen zu gehen.
Jessica
stand ein gutes Stück von ihr entfernt und sah sie verhalten an. «William und
ich müssen heute Abend lernen», sagte sie. «Unter normalen Umständen hätte ich
gestern und heute den
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