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Franzen, Jonathan

Franzen, Jonathan

Titel: Franzen, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freihheit
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Walters,
nicht einmal annähernd unendlich. Irgendwann legte er einfach auf, und als sie
ihn eine Stunde später, kurz bevor es nach ihren Berechnungen Zeit gewesen
wäre, zum Newark Airport
aufzubrechen, falls er den Flug noch hätte bekommen wollen, ein drittes Mal
anrief, nahm er nicht mehr ab.
    Sie hatte
kaum geschlafen und das wenige, was sie am Tag zuvor gegessen hatte, wieder von
sich gegeben, und doch fühlte sie sich augenblicklich frischer, klarer und
kräftiger. Sie machte das ganze Haus sauber, las die Hälfte eines Romans von
Joseph Conrad, den Walter ihr empfohlen hatte, und kaufte keinen weiteren Wein.
Als Walter von den Boundary Waters
zurückkam, kochte sie ihm ein exzellentes Abendessen, schlang ihm die Arme um
den Hals und brachte ihn - eine Seltenheit - sogar dazu, sich ein wenig gegen
die Heftigkeit ihrer Zuneigung zu sträuben.
    Genau das wäre
der Moment gewesen, nach einer Arbeitsstelle zu suchen oder noch eine
Ausbildung anzufangen oder ehrenamtlich tätig zu werden. Aber irgendetwas
schien immer dagegen zu sprechen. Da war die Möglichkeit, dass Joey einlenken
und für die Dauer seines letzten Schuljahres wieder nach Hause kommen würde. Da
waren das Haus und der Garten, die sie in ihrem Jahr des Trinkens und
Trübsalblasens vernachlässigt hatte. Da war ihre kostbare Freiheit, sooft sie
wollte für mehrere Wochen an den Namenlosen See zu fahren. Da war eine
umfassendere Freiheit, die sie, wie sie sehr wohl wusste, krank machte und die
sie trotzdem nicht aufgeben konnte. Da war das Elternwochenende an Jessicas
College in Philadelphia, an dem Walter nicht teilnehmen konnte, Patty dagegen
teilnehmen wollte, was ihn wiederum sehr freute, weil er manchmal befürchtete,
das Verhältnis zwischen ihr und Jessica sei vielleicht nicht eng genug. Und
dann waren da die Wochen, die dem Elternwochenende vorausgingen, Wochen des
regen E-Mail-Verkehrs mit Richard, Wochen, in denen sie sich das Hotelzimmer
in Philadelphia ausmalte, wo sie einen Tag und eine Nacht zusammen
von der Bildfläche verschwinden wollten. Und dann waren da die Monate schwerer
Depressionen nach dem Elternwochenende.
    Sie war an
einem Donnerstag nach Philadelphia geflogen, um, wie sie Walter gewissenhaft
erklärt hatte, einen Tag als Touristin allein in der Stadt zu verbringen. Im
Taxi unterwegs zum Stadtzentrum verspürte sie einen jähen Stich des Bedauerns,
dass es nicht genauso sein konnte: dass sie nicht als unabhängige erwachsene
Frau durch die Straßen gehen, ein unabhängiges Leben führen und eine besonnene,
wissbegierige Touristin sein konnte anstatt eine liebeshungrige Irre.
    So
unglaublich es klingen mag, aber seit der Zeit im Zimmer 21 war sie nicht mehr
allein in einem Hotel gewesen, und ihr plüschiges Komfortzimmer im Sofitel
beeindruckte sie sehr. Während sie auf Richard wartete, inspizierte sie alle
Annehmlichkeiten genau und inspizierte sie noch einmal, als die vereinbarte
Uhrzeit kam und verstrich. Sie versuchte fernzusehen, aber das ging nicht. Als
das Telefon schließlich klingelte, war sie nur noch ein Haufen Nervenzellmasse.
    «Es ist
was dazwischengekommen», sagte Richard.
    «Aha.
Soso. Es ist was dazwischengekommen. Aha.» Sie ging zum Fenster und blickte auf
Philadelphia. «Was denn? Irgendein kurzer Rock?»
    «Allerliebst»,
sagte Richard.
    «Ach, gib
mir ein bisschen Zeit», sagte sie, «und ich liefere dir jedes nur denkbare
Klischee. Was Eifersucht betrifft, haben wir noch nicht mal angefangen. Das
hier ist quasi Minute eins in Sachen Eifersucht.»
    «Es gibt
keine andere.»
    «Keine
einzige? Es hat keine einzige andere gegeben?
Mein Gott, da habe ja selbst ich mich schlechter benommen. Auf meine rührende
eheliche Weise.»
    «Ich habe
nicht gesagt, dass es keine einzige andere
gegeben hat. Ich habe gesagt, es gibt keine andere.»
    Sie
drückte den Kopf gegen die Scheibe. «Entschuldige», sagte sie. «Ich fühle mich
auf einmal zu alt, zu hässlich, zu dumm, zu eifersüchtig. Ich finde es
unerträglich, was aus meinem Mund kommt.»
    «Er hat
mich heute Morgen angerufen», sagte Richard.
    «Wer?»
    «Walter.
Ich hätte es klingeln lassen sollen, aber ich bin drangegangen. Er sagte, dass
er früh aufgestanden ist, um dich zum Flughafen zu bringen, und dass er dich vermisst.
Und dass es in letzter Zeit sehr schön ist mit euch beiden. Zeit seit Jahren> - so in etwa hat er es, glaube ich, gesagt.»
    Patty
schwieg.
    «Und dass
du vorhast, Jessica zu besuchen. Worüber sie sich insgeheim

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