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Franzen, Jonathan

Franzen, Jonathan

Titel: Franzen, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freihheit
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sein Zuhause sein. Ein klein wenig Koks
hätte das ändern, hätte der Wohnung ihren verblichenen freundlichen Glanz
zurückgeben können, aber nur für ein paar Stunden, bestenfalls ein paar Tage,
danach hätte es alles nur noch viel schlimmer gemacht. Der einzige Raum, den er
noch halbwegs mochte, war die Küche, deren harsche Neonleuchte seiner Stimmung
entsprach. Er setzte sich an seinen alten Lacktisch und lenkte sich von dem
Geschmack seines Abendessens ab, indem er Thomas Bernhard las, seinen neuen
Lieblingsautor.
    Hinter
ihm, auf einer Ablage mit ungespültem Geschirr, klingelte sein Festnetztelefon.
Auf dem Display stand walter
berglund.
    «Walter,
mein Gewissen», sagte Katz. «Warum belästigst du mich jetzt?»
    Unwillkürlich
war er versucht dranzugehen, weil er unlängst festgestellt hatte, dass er
Walter vermisste, aber dann erinnerte er sich gerade noch rechtzeitig, dass es
ebenso gut Patty sein konnte, die von zu Hause anrief. Mit Molly Tremain hatte er die Erfahrung gemacht, dass man eine Ertrinkende nur
dann retten sollte, wenn man bereit war, selbst zu ertrinken, und so hatte er
vom Kai aus zugesehen, wie Patty strampelnd um Hilfe schrie. Wie immer sie
sich jetzt fühlte, er wollte nichts davon hören. Nameless Lake zu Tode zu touren - zum Ende hin hatte er sich
während der Auftritte, ohne aus dem Takt zu geraten oder eine Strophe
auszulassen, auf lange Gedankengänge begeben können, hatte die Finanzen der
Band überprüft, die Beschaffung neuer Drogen erwogen und sein jüngstes Interview
bereut - war insofern von Vorteil gewesen, als die Texte von jeglicher
Bedeutung entleert und seine Lieder dauerhaft von dem Zustand der Trauer (um Molly, um Patty), in dem er sie geschrieben hatte, losgelöst worden waren. Er
hatte sogar schon geglaubt, dass die Tournee die Trauer selbst erschöpft hatte.
Dennoch war es ausgeschlossen, dass er ans Telefon ging, solange es klingelte.
    Immerhin
hörte er den Anrufbeantworter ab.
    Richard?
Hier ist Walter - Berglund. Ich weiß nicht, ob du da bist, womöglich bist du
nicht mal im Land, aber vielleicht bist du ja morgen da. Ich muss geschäftlich nach New York, und ich möchte dir einen kleinen Vorschlag
machen. Entschuldige, dass ich so kurzfristig Bescheid gebe. Vor allem grüße
ich dich einfach bloß. Patty lässt auch grüßen. Hoffentlich ist bei dir alles
in Ordnung!
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    Zwei Jahre
lang hatte Katz nichts mehr von Walter gehört. Als sich das Schweigen hinzog,
hatte er es für immer wahrscheinlicher gehalten, dass Patty in einem Moment von
Dummheit oder Kummer ihrem Mann gebeichtet hatte, was am Namenlosen See
geschehen war. Mit seinem Feminismus und seiner umgekehrten Doppelmoral, die
einen rasend machte, hätte Walter Patty sicher schnell verziehen und Katz die
Schuld an dem Betrug allein tragen lassen. Es war schon komisch mit Walter:
Immerzu verschworen sich die Umstände auf eine Weise, dass Katz, der sonst
niemanden fürchtete, sich von ihm herabgesetzt und eingeschüchtert fühlte.
Indem er auf Patty verzichtet und sein eigenes Vergnügen drangegeben und sie
brutal enttäuscht hatte, um ihre Ehe zu retten, hatte er sich vorübergehend
auf das Niveau von Walters Vortrefflichkeit erhoben, doch seine Mühen hatten
ihm lediglich den Neid auf seinen Freund eingetragen, weil der seine Frau so
fraglos besaß. Er hatte sich einzureden versucht, dass er den Berglunds einen
Gefallen tat, indem er die Kommunikation mit ihnen einstellte, vor allem aber
hatte er sich nicht anhören wollen, wie glücklich und stabil sie verheiratet
waren.
    Katz hätte
nicht recht sagen können, warum Walter ihm viel bedeutete. Zweifellos war es
teilweise einfach ein Fall von alter Gewohnheit: der Bildung einer Bindung in
einem formbaren Alter, bevor die Umrisse seiner Persönlichkeit voll ausgeprägt
waren. Walter war in sein Leben geschlüpft, bevor er der Welt der gewöhnlichen
Leute die Tür vor der Nase zugeschlagen und sich den Außenseitern und
Aussteigern angeschlossen hatte. Wobei Walter so gewöhnlich gar nicht war. Er
war hoffnungslos naiv und zugleich sehr gescheit und hartnäckig und bestens
informiert. Und dann gab es noch die Komplikation Patty, die, obwohl sie lange
nach Kräften versucht hatte, sich anders zu geben, sogar noch weniger
gewöhnlich als Walter war, und dann die weitere Komplikation, dass Katz sich
zu Patty nicht weniger hingezogen fühlte als Walter und sich zu Walter wohl noch mehr
hingezogen fühlte

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