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Franzen, Jonathan

Franzen, Jonathan

Titel: Franzen, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freihheit
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von denen wurde, die laminierte
Literatur mit sich herumtragen. Dennoch war er überrascht, was für ein wütender Spinner
aus Walter in den letzten zwei Jahren geworden war.
    «Und das
hat mich nachts wach gehalten», sagte Walter. «Diese Zerstückelung. Denn
überall ist es dasselbe Problem. Es ist wie das Internet oder das
Kabelfernsehen - nirgends gibt es ein Zentrum, es gibt keine gemeinschaftliche
Übereinkunft, nur noch Trillionen kleiner Fetzen Lärm, die einen ablenken. Nie
können wir uns hinsetzen und ein nachhaltiges Gespräch führen, alles ist
wertloser Ramsch und eine Scheißentwicklung. Alles Echte, alles Authentische,
alles Ehrliche, das stirbt aus. Geistig und kulturell flitzen wir nur herum wie
ziellose Billardkugeln und reagieren ziellos auf die neuesten Reize.»
    «Im
Internet gibt's ziemlich gute Pornos», sagte Katz. «Heißt es zumindest.»
    «In
Minnesota habe ich jedenfalls nichts Systemisches erreicht. Da haben wir nur
kleines Stückwerk unzusammenhängender Nettigkeiten angesammelt. In Nordamerika
gibt es rund sechshundert Brutvogelarten, und vielleicht ein Drittel geht durch
die Fragmentierung drauf. Vins Idee war, wenn von zweihundert richtig Reichen
sich jeder eine Art auswählt und versucht, die Fragmentierung ihrer wichtigsten
Brutgebiete aufzuhalten, dann könnten wir sie alle retten.»
    «Der
Pappelwaldsänger ist ein sehr wählerischer kleiner Vogel», sagte Lalitha.
    «Er brütet
in Baumwipfeln von alten Laubwaldbeständen», sagte Walter. «Und sobald die
Kleinen flügge sind, wechselt die Familie ins Unterholz, um sicher zu sein.
Aber die ursprünglichen Wälder wurden alle wegen Nutzholz und Holzkohle
gefällt, und die Sekundärwälder haben nicht das entsprechende Unterholz und
sind durch Straßen, Farmen, Trabantenstädte und Kohlereviere fragmentiert,
weswegen der Waldsänger zu einer wehrlosen Beute von Katzen, Waschbären und
Krähen geworden ist.»
    «Und ehe
man sich's versieht, gibt es keinen Pappelwaldsänger mehr», sagte Lalitha.
    «Das
klingt bitter», sagte Katz. «Obwohl, es ist doch nur ein Vogel unter anderen.»
    «Jede Art
hat ein unveräußerliches Recht, weiterzuexistieren», sagte Walter.
    «Klar.
Natürlich. Ich überlege nur gerade, wo du das herhast. Ich kann mich nicht
erinnern, dass dir am College Vögel wichtig waren.
    Damals
ging es dir doch eher um Überbevölkerung und die Grenzen des Wachstums.«
    Wieder
wechselten Walter und Lalitha Blicke.
    «Und genau
bei der Überbevölkerung sollst du uns helfen», sagte Lalitha.
    Katz
lachte. «Das tue ich doch schon, so gut ich kann.»
    Walter
wühlte einige laminierte Schaubilder durch. «Ich habe die Sache
zurückverfolgt», sagte er, «weil ich weiterhin nicht schlafen konnte. Erinnerst
du dich an Aristoteles und seine Ursachenlehre? Die Wirk-, die Form- und die
Finalursache? Also, Nestraub durch Krähen und Wildkatzen ist eine Wirkursache
für den Rückgang des Waldsängers. Und Fragmentierung des Lebensraums ist eine
Formursache davon. Was aber ist die Finalursache? Die Finalursache ist die
Wurzel von so ziemlich jedem Problem, das wir haben. Die Finalursache ist:
verdammt nochmal zu viele Menschen auf der Erde. Das wird besonders klar, wenn
wir nach Südamerika fahren. Ja, der Pro-Kopf-Verbrauch steigt. Ja, die Chinesen
räumen dort illegal Rohstoffe ab. Aber das wahre Problem ist der Bevölkerungsdruck.
Sechs Kinder pro Familie gegenüber eins Komma fünf. Die Leute versuchen
verzweifelt, die Kinder zu ernähren, die ihnen der Papst in seiner unendlichen
Weisheit abverlangt, also ruinieren sie die Umwelt.»
    «Komm doch
mal mit uns nach Südamerika», sagte Lalitha. «Dann fahren wir über die kleinen
Straßen, da gibt's schlimme Abgase von schlechten Motoren und minderwertigem
Sprit, die Berghänge sind alle kahl geschlagen, und die Familien haben acht
oder zehn Kinder, das macht einen krank. Komm einfach mal mit und finde heraus,
ob dir gefallt, was du da siehst. Denn das hast du bald vor deiner Haustür.»
    Du spinnst
ja, dachte Katz. Du spinnst, du kleines scharfes Ding.
    Walter
reichte ihm ein laminiertes Balkendiagramm. «Allein in Amerika», sagte er, «wird
die Bevölkerung in den nächsten vier Jahrzehnten um fünfzig Prozent anwachsen.
Überleg dir mal, wie dicht besiedelt die Speckgürtel jetzt schon sind, denk an
den Verkehr und die Zersiedelung und die Umweltzerstörung und die Abhängigkeit
von ausländischem Öl. Und dann rechne noch fünfzig Prozent dazu. Und das ist
nur Amerika, was

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